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01 - Winnetou I

01 - Winnetou I

Titel: 01 - Winnetou I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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stand auch auf, langsam, als ob er von zentnerschweren Gewichten niedergehalten werde. Er schlang beide Arme um mich und sagte:
    „Nun sind sie tot! Der größte, edelste Häuptling der Apachen und Nscho-tschi, meine Schwester, welche dir ihre Seele gegeben hatte. Sie starb mit deinem Namen auf den Lippen. Vergiß dies nicht, vergiß es nicht, mein lieber Bruder!“
    „Nie, nie werde ich es vergessen!“ rief ich aus.
    Dann nahm sein Gesicht einen ganz andern Ausdruck an, und seine Stimme klang wie fernes drohendes Donnerrollen, als er fragte:
    „Hast du gehört, was ihre letzte Bitte an mich war?“
    „Ja.“
    „Rache! Ich soll sie rächen, und, ja, ich werde sie rächen, wie noch nie ein Mord gerächt worden ist. Weißt du, wer die Mörder waren? Du hast sie gesehen. Bleichgesichter waren es, denen wir nichts getan hatten. So ist es stets gewesen, und so wird es immer, immer sein, bis der letzte rote Mann ermordet worden ist. Denn wenn er auch eines natürlichen Todes sterben sollte, ein Mord ist es doch, ein Mord, welcher an meinem Volke geschieht. Wir wollten nach den Städten dieser verruchten Bleichgesichter; Nscho-tschi wollte werden wie eine weiße Squaw, denn sie liebte dich und glaubte, dein Herz zu gewinnen, wenn sie sich das Wissen und die Sitten der Weißen aneignete. Das hat sie mit dem Leben bezahlt. Mögen wir euch hassen, oder mögen wir euch lieben, es ist ganz gleich: wo ein Bleichgesicht seinen Fuß hinsetzt, da folgt hinter ihm das Verderben für uns. Es wird ein Klagen gehen durch alle Stämme der Apachen, und ein Wut- und Rachegeheul wird erklingen überall, an jedem Ort, wo sich ein Angehöriger unserer Nation befindet. Die Augen aller Apachen schauen jetzt auf Winnetou, um zu sehen, wie er den Tod seines Vaters und seiner Schwester rächen wird. Mein Bruder Old Shatterhand mag hören, was ich hier bei diesen beiden Leichen gelobe! Ich schwöre bei dem großen Geist und bei allen meinen tapfern Vorfahren, welche in den ewigen Jagdgründen versammelt sind, daß ich von heut an jeden Weißen, jeden, jeden Weißen, der mir begegnet, mit dem Gewehr, welches der toten Hand meines Vaters entfallen ist, erschießen oder – – –“
    „Halt!“ fiel ich ihm schaudernd in die Rede, denn ich wußte, daß es ihm unnachsichtlicher, unerbittlicher Ernst mit diesem Schwur sein würde. „Halt! Mein Bruder Winnetou mag jetzt nicht schwören, jetzt nicht!“
    „Warum jetzt nicht?“ fragte er, fast zornig.
    „Ein Schwur muß mit ruhiger Seele gesprochen werden.“
    „Uff! Meine Seele ist in diesem Augenblick so ruhig wie das Grab, in welche ich diese meine Toten legen werde. Wie es sie nie wieder zurückgeben wird, ebensowenig werde ich jemals ein Wort von dem, was ich schwöre, zurückneh – – –“
    „Sprich nicht weiter!“ unterbrach ich ihn abermals.
    Da funkelten mich seine Augen beinahe drohend an, und er rief aus:
    „Will Old Shatterhand mich hindern, meine Pflicht zu tun? Sollen die alten Weiber mich anspucken, und soll ich aus meinem Volk ausgestoßen werden, weil ich nicht den Mut besitze, das zu rächen, was heut hier geschehen ist?“
    „Es sei ferne von mir, dies von dir zu verlangen. Auch ich will Strafe für den Mörder. Drei von ihnen hat sie schon ereilt; der vierte ist entflohen, doch entkommen wird er uns nicht.“
    „Wie sollte er entkommen!“ fuhr er auf. „Aber ich habe es nicht allein mit ihm zu tun. Er hat gehandelt als Sohn jener bleichen Rasse, die uns Vernichtung bringt; sie ist verantwortlich für das, was sie ihn gelehrt hat, und ich werde sie zur Verantwortung ziehen, ich, Winnetou, nunmehr der erste und oberste Häuptling aller Stämme der Apachen!“
    Er stand stolz und hoch aufgerichtet vor mir, ein Mann, der sich trotz seiner Jugend als König all der Seinen fühlte! Ja, er war der Mann dazu, das auszuführen, was er wollte. Ihm, ihm wäre es gewiß gelungen, die Krieger aller roten Nationen unter sich zu versammeln und mit den Weißen einen Riesenkampf zu beginnen, einen Verzweiflungskampf, dessen Ende zwar kein zweifelhaftes sein konnte der aber den wilden Westen mit Hunderttausenden von Opfern bedecken mußte. Jetzt, in diesem Augenblick entschied es sich, ob der Tomahawk des Todes in dieser erbitterten Weise wüten sollte oder nicht!
    Ich nahm ihn bei der Hand und sagte:
    „Du sollst und wirst tun, was du willst; vorher aber höre eine Bitte, welche vielleicht meine letzte sein wird; dann wirst du die Stimme deines weißen Freundes und

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