010 - Skandal in Waverly Hall
gleich morgen früh."
Anne atmete erleichtert auf. Wenn Fairhaven sein Geld bekam, würde er schweigen.
Dominick ließ sie nicht aus den Augen, und ihr wurde immer unbehaglicher. Sie zog das Négligé enger am Hals zusammen und hielt den Stoff sorgfältig fest. Dominick senkte den Blick zu den Knöcheln ihrer Hand, die weiß hervortraten, und sie bereute ihre Schamhaftigkeit sofort.
Anne spürte, daß sie rot wurde. Als sie ihm diesmal in die Augen blickte, bemerkte sie einen vielsagenden Glanz. Ihr Magen zog sich zusammen. Wußte Dominick, daß sie ihn immer noch attraktiv fand? Oder dachte er an etwas anderes?
War er eines Mordes fähig? Nein, das war unmöglich, obwohl er etliche Vorteile davon hätte, wenn er sie aus dem Weg schaffte. Ob er ahnte, was ihr durch den Kopf ging? Was sollte werden, wenn Patrick und Belle doch recht hatten?
Anne feuchtete ihre Lippen an, die entsetzlich trocken geworden waren. Nein, Dominick konnte es unmöglich ahnen. Es war spät, und sie beide waren allein.
Deshalb ging die Phantasie erneut mit ihr durch. Sie lächelte gequält.
Dominicks Blick wurde kühl. Er erwiderte ihr Lächeln nicht.
Anne stand zögernd auf. Sie bekam kaum noch Luft, und ihr war viel zu warm. Ohne Dominick anzusehen, der sie gewiß beobachtete, ging sie zum Fenster und versuchte, es zu öffnen. Es dauerte eine ganze Weile, bevor sie begriff, wie es verriegelt war. Erleichtert schob sie die Flügel zurück und atmete die kühle Nachtluft tief ein. Sie spürte Dominicks bohrenden Blick in ihrem Rücken. Weshalb ging er nicht?
Wenn er sie wirklich umbringen wollte, hätte er es längst tun können. Vielleicht steckte er tatsächlich hinter den Anschlägen, aber nur, um ihr angst zu machen. Ihr Puls begann zu rasen. Wollte er sie aus Waverly Hall vertreiben?
Anne drehte sich um und sah Dominick an. Wie sie vermutet hatte, beobachtete er sie immer noch. Und wenn er unschuldig war? Wenn sein größtes Verbrechen darin bestand, daß er sie ohne echte Zuneigung verführt hatte? In diesem Fall wäre es ihre moralische Pflicht, ihm jetzt beizustehen, wenn sein ganzen Leben zu einem Scherbenhaufen zerfiel.
Die Stille zog sich endlos hin und wurde langsam unerträglich. „Ist noch etwas?"
fragte Anne schließlich.
„Ja", erklärte Dominick ungerührt. „Da ist noch etwas."
Plötzlich begriff sie.
Sein Blick glitt über ihre Hand, die immer noch die beiden Seiten des Négligés zusammenhielt, rutschte tiefer und versengte sie beinahe. Ihre Knospen waren fest geworden und hatten sich aufgerichtet. Natürlich hatte Dominick es längst bemerkt.
Ein Muskel zuckte in seiner Wange, und sie sahen sich erneut eindringlich an.
Annes Herz klopfte viel zu schnell. „Du mußt jetzt gehen", sagte sie heiser.
„Weshalb?"
Sie konnte nicht mehr an sich halten. „Was bildest du dir eigentlich ein? Was willst du von mir? Du bist ja total verrückt!" schrie sie Dominick an.
„Mag sein." Lächelnd verzog er die Lippen. „Kannst du dir nicht denken, was ich von dir will, Anne? Was ich jetzt unbedingt brauche?"
„Nein." Das war eine Weigerung und keine Antwort.
„Komm her, Anne." Seine Stimme klang rauchig und sehr verführerisch. Er trat dicht an sie heran, und sie konnte sich nicht rühren. Seine Finger schlossen sich um ihr Handgelenk.
„Ich möchte - daß du gehst."
Er zog eine Braue in die Höhe. „Wirklich? Das glaube ich nicht."
„Dann irrst du dich gewaltig", keuchte sie.
Sie sahen sich tief in die Augen. „Ich möchte wissen, ob es dir leid tut."
Anne feuchtete ihre Lippen an. Sie versuchte gar nicht erst, ihm ihre Hand zu entziehen. Sie zitterte am ganzen Körper. Dominick stand so nahe vor ihr, daß seine Knie ihre Schenkel berührten. „Natürlich tut es mir leid."
Er lächelte ein bißchen schief. „Wie leid?"
Sie sah ihn verständnislos an. „Was soll das heißen?"
Sein Blick glitt tiefer. „Wie leid tut es dir, Anne? Genügend, um zu bedauern, daß wir uns entfremdet haben? Um anderen Sinnes zu werden?
Um mich zu trösten und in dein Bett einzuladen?"
Entsetzt versuchte Anne, ihre Hand fortzureißen. Doch Dominick faßte ihr Handgelenk noch fester. Sein Griff war beinahe brutal und ließ keinen Widerspruch zu. Sie konnte sich nicht von ihm lösen.
Plötzlich bekam sie furchtbare Angst.
Dominick beugte sich vor, und sein nackter Oberkörper berührte ihre Brüste durch das Seidennachthemd. Ein Schauer der Erregung erfaßte sie beim Klang seiner heiseren Stimme und beim Gefühl
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