010 - Skandal in Waverly Hall
nicht?"
„Zum Glück kamst du ziemlich spät auf die Welt. Der Arzt wurde angewiesen, allen zu erzählen, du wärst eine Frühgeburt. Das war nichts Ungewöhnliches, und Philip glaubte es."
„Du hast den Arzt bestochen, damit er log. Schließlich kannte er die Wahrheit."
„Nein."
„Jemand muß ihn gut bezahlt haben", erklärte Dominick schroff.
Clarisse antwortete nicht.
Dominick drehte den Kopf und betrachtete den regungslosen Körper des Herzogs.
„Aha, es war Großvater. Ich verstehe."
„Was verstehst du?" fragte Carisse besorgt.
„Großvater bezahlte den Arzt, damit er schwieg - und log. Um dich - und Philip - vor einem Skandal zu bewahren. Wie großzügig von Philip, daß er mich als sein eigen Fleisch und Blut anerkannte." Dominick setzte sich an das Fußende des Bettes und betrachtete Rutherford nachdenklich.
Clarisse rührte sich nicht.
Er seufzte tief und sah sie von der Seite an. „Also gut, wer ist mein Vater?"
Erschrocken riß Ciarisse die Augen auf. „Das ist doch völlig gleichgültig."
„Für mich ist es das durchaus nicht", rief Dominick.
Sie preßte die Lippen zusammen, und ihre Nasenflügel bebten. „Es spielt keine Rolle mehr. Dein leiblicher Vater ist tot."
Dominick schloß die Augen. Für ihn spielte es eine gewaltige Rolle. In diesem Punkt irrte seine Mutter sich erheblich. Andererseits: Wie würde er reagieren, falls sein Vater ein gemeiner Stallknecht war? Oder ein allseits bekannter Wüstling? Ein Verbrecher oder ein Mörder? Vielleicht war es wirklich besser, wenn er die Wahrheit nicht kannte.
„Was wirst du jetzt tun?" fragte Ciarisse. „Fairhaven darf auf keinen Fall verbreiten, was er weiß."
Dominick sah seine Mutter an. „Obwohl es mir aus Prinzip widerstrebt, werde ich mich so schnell wie möglich mit dem Mann in Verbindung setzen und ihm ein kleines Vermögen anbieten, damit er den Mund hält und das Land verläßt."
„Trotzdem wird sein Wissen weiter wie ein Damoklesschwert über unseren Köpfen schweben", antwortete Clarisse und stand auf. „Ich habe Angst, Dominick.
Irgendwann wird Fairhaven noch mehr Geld von uns verlangen. Seine Drohung, alles aufzudecken, wird immer bleiben. Wenn die Wahrheit ans Licht kommt, bedeutet es das Ende für uns beide."
„Wenn die Wahrheit ans Licht kommt, werden du und ich die Köpfe sehr hoch halten und dem Sturm trotzen", erklärte Dominick entschlossen.
Clarisse sah ihren Sohn an, als hätte er den Verstand verloren. „Für mich wäre es auf jeden Fall das Ende", flüsterte sie.
Dominick stand auf. „Tränen helfen uns jetzt nicht weiter, Mutter. Bitte, weine nicht. Noch bist du nicht am Ende."
Sie nahm das Taschentuch, das er ihr reichte, und schneuzte sich leise die Nase.
„Einen Lichtpunkt gibt es allerdings bei allem Unglück", fuhr er fort. „Fairhaven ist ein Feigling. Er hat selber Angst vor dem, was er tut. Ich bin nicht sicher, ob er jemals reden wird. Wenn ich ihn morgen treffe, werde ich ihm äußerst behutsam auf den Zahn fühlen."
Ciarisse zerknüllte das Taschentuch in der Faust. „Ich wünschte, der Kerl wäre tot."
„Das kann nicht dein Ernst sein, Mutter."
„Doch, es ist mir ernst. Ich wünschte, er wäre tot."
Beide schwiegen eine ganze Weile. „Du bist sehr erschöpft und weißt nicht, was du sagst", erklärte Dominick endlich mit fester Stimme. In Wirklichkeit zitterte er innerlich.
Clarisse sah ihn an und betupfte ihre Augen mit dem Taschentuch. „Wie kannst du so ruhig sein, obwohl wir alles verlieren könnten?"
„Ich bin keineswegs ruhig", antwortete er barsch.
Clarisse fuhr fort, als hätte sie seine Worte nicht gehört. „Ich könnte mich nicht mehr in der Gesellschaft blicken lassen, und du würdest das Herzogtum an einen fetten, dummen, gierigen entfernten Vetter verlieren."
„Das wäre durchaus möglich, falls Fairhaven ausplaudert, was er weiß", sagte Dominick ungerührt.
„Ich gehe in mein Zimmer", verkündete Ciarisse und trocknete erneut ihre Tränen.
„Ich muß nachdenken."
Dominick sah zu, wie sie den Raum verließ. Dann sank er an das Fußende des Bettes und schlug die Hände vors Gesicht. Plötzlich merkte er, daß er sich mehr Sorgen um seine Mutter machte als um die eigene Zukunft. Er würde schon überleben, falls es zum Schlimmsten kam. Bei Clarisse war er sich nicht so sicher. Aber er würde alles in seiner Macht Stehende tun, um sie zu beschützen.
Er sah nicht, daß Rutherfords Finger sich bewegten und seine Augenlider zuckten. Er hörte
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