010 - Skandal in Waverly Hall
letzten vier Jahre ständig hiergewesen", fuhr Felicity unbeirrt fort. „Was könnte einen Junggesellen sonst das ganze Jahr auf dem Land halten? Ich kenne keinen einzigen unverheirateten Mann, der so etwas tut. Zumindest für die Ballsaison ziehen alle in die Stadt. Nur Patrick nicht."
„Die beiden sind gute Freunde, sonst nichts", sagte Dominick gefährlich leise.
Felicity riß erstaunt die Augen auf. „Ausgerechnet du behauptest das, Dominick?"
Es klang wirklich seltsam und war kaum zu glauben. Aber schließlich hatte er gestern abend mit Anne geschlafen und festgestellt, daß sie noch Jungfrau gewesen war.
Das konnte er Felicity allerdings nicht erzählen. Trotzdem überlegte er einen Moment, ob Anne ihren Vetter vielleicht begehrte - auf dieselbe Weise wie Patrick sie. „Meine Frau ist eine Dame", erklärte er bestimmt. „Jede Anspielung deinerseits, daß es anders sein könnte, ist eine Beleidigung."
„Ich dachte nur, du wüßtest vielleicht nicht, was hier vorgegangen ist", antwortete Felicity mit unschuldiger Miene.
„Es ist überhaupt nichts vorgegangen", stellte Dominick grimmig fest. Wenn Felicity das Schlimmste annahm, taten es die anderen wahrscheinlich auch. „Vielleicht solltest du dir lieber an die eigene Nase fassen, anstatt dir Gedanken über Annes Verhalten zu machen."
Felicity keuchte leise.
„Du hast doch nicht angenommen, daß du meine Frau verleumden könntest und ich auf deine Beschuldigungen hereinfallen würde?"
Felicity ließ seinen Arm los. „Mir war nicht klar, daß du immer noch an deiner Frau hängst", rief sie. „Schließlich hast du sie vier Jahre auf dem Land allein gelassen."
„Dann hast du dich eben geirrt", antwortete Dominick ungerührt.
Felicity errötete heftig. „Entschuldige, Dominick. Ich wollte dir nur eine gute Freundin sein."
Er betrachtete sie verächtlich. „Das glaube ich kaum. Wenn du mich jetzt bitte entschuldigen würdest? Ich habe dringend einiges mit Anne zu besprechen, und zwar allein."
Felicity sah ihn bestürzt an.
Dominick wandte sich ab und beobachtete Anne durch das Fenster ihres Arbeitszimmers. Sie saß steif da, und ihr Gesicht war sehr blaß. Doch ihre blauen Augen funkelten vor Zorn.
Beide merkten nicht, daß Felicitys Augen ebenfalls blitzten.
Anne kehrte an ihren Schreibtisch zurück. Sie setzte sich hin und begann, die erste Rechnung zu überprüfen. Sie merkte genau, daß Dominick ihr Arbeitszimmer betrat und auf der Schwelle stehenblieb. Eine ganze Weile beachtete sie ihn nicht, dann sah sie auf.
„Willst du etwas von mir?" fragte sie in geschäftsmäßigem Ton. In Wirklichkeit ging ihr das Bild nicht aus dem Kopf, wie Felicity an seinem Arm gehangen hatte. Die Cousine hatte ihre üppigen Brüste aufreizend an Dominick gedrängt und lächelnd zu ihm aufgeblickt.
„Ja, allerdings", antwortete er.
Anne stützte die Ellbogen auf die Tischplatte, legte die Hände zusammen und wartete mit kühler Miene. Sie war entschlossen, sich nichts anmerken zu lassen.
Dominick lehnte mit dem Rücken am Türrahmen. Seine Haltung war lässig, doch seine Augen blickten aufmerksam. „Ich habe beschlossen, meine Pferde nach Waverly Hall zu holen."
„Aha. Du willst also tatsächlich bleiben?" fragte Anne spöttisch.
Sein Blick verfinsterte sich. „Mir scheint, darüber habe ich letzte Nacht keinen Zweifel gelassen", antwortete er leise.
Anne sprang errötend auf. „Du verschwendest nur deine Zeit, wenn du nicht schnellstens wieder gehst."
Er zog eine Braue in die Höhe. „Meinst du?" erwiderte er spöttisch. „Die vorige Nacht würde ich nicht als Zeitverschwendung bezeichnen."
Anne ballte die Hände zu Fäusten. „Ich werde nicht noch einmal mit dir schlafen, Dominick."
Er sah sie stumm an.
Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen. „Ich möchte, daß wir eine reine Vernunftehe führen." Als er weiter schwieg, fuhr sie fort: „Eine Ehe, die nur auf dem Papier besteht."
Dominick sagte immer noch nichts. Doch seine topasbraunen Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen.
„Viele Paare treffen solch eine Vereinbarung. Das weißt du sicher besser als ich." Sie trat einen Schritt zurück, denn Dominick verzog plötzlich den Mund. Sein Lächeln wirkte drohend und gefährlich. „Hast du nichts dazu zu sagen?"
„Nein."
Sie holte tief Luft.
„Ist dir mein Standpunkt jetzt klar?" fragte er unbeirrt.
„Du kannst mich nicht zwingen, mit dir zu schlafen!" rief Anne.
Er lächelte erneut. „Ich habe durchaus nicht die Absicht,
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