010 - Skandal in Waverly Hall
saß in der Falle. „Geh endlich. Laß mich in Ruhe."
„Anne, bitte gib uns noch eine Chance ..."
„Geh!" schrie sie. „Geh weg. Bitte!"
Er richtete sich auf. „In Ordnung, ich werde gehen. Aber ich kehre in einigen Tagen zurück. Denk inzwischen über meinen Vorschlag nach."
„Das habe ich bereits getan. Ich werde von meinem Entschluß keinen Deut abweichen."
Dominick ging nicht auf ihre Bemerkung ein. „Eine Woche, Anne. Wenn du anschließend immer noch unglücklich über unsere Ehe bist, werde ich dich in Ruhe lassen, wie du es von mir verlangst."
11. KAPITEL
Der Duke of Rutherford hörte das Rumpeln der Kutschen und das Klappern der Pferdehufe in der Einfahrt und trat an das Fenster des Salons. Er entdeckte Dominick auf einem herrlichen grauen Reitpferd und lächelte befriedigt. Ein anderer Mann ritt neben ihm auf einem ebenso edlen Pferd. Das mußte Ted Blake sein, der zweite Sohn des Earl of Harding. Den beiden Reitern folgte die schwarze Kutsche von Waverly. Sie wurde von sechs Rappen gezogen. Ein livrierter Kutscher hielt die Zügel, und zwei Lakaien standen auf dem hinteren Trittbrett. Dominicks Begleitung bestand aus zahlreichen Bediensteten, die in den beiden weiteren Wagen saßen.
Reitknechte dirigierten die zahlreichen Vollblüter, darunter ein herrlicher schwarzer Junghengst, in Richtung der Ställe. Sie trugen Decken auf dem Rücken, und bei einigen Tieren waren die Fesseln bandagiert.
Dominick war drei Tage fort gewesen, und Rutherford war unendlich erleichtert, ihn zurückkehren zu sehen. Heimlich hatte er befürchtet, daß sein Enkel es sich anders überlegen könnte. Doch er war wieder da. Der Herzog hatte den Verdacht, daß Dominick weniger wegen der Zusatzklausel in dem treuhänderischen Abkommen hier war, sondern wegen seines wachsendes Interesses an Anne.
Rutherford lächelte still vor sich hin. Er war ein alter Mann. Er würde nicht ewig leben und hatte nicht einmal den Wunsch dazu. Er wußte, wann es Zeit zum Abtreten war. Der Augenblick kam rasch näher, aber noch war es nicht soweit. Die Zukunft des Herzogtums war noch nicht gesichert. Erst mußte Dominick einen Erben haben.
Der Herzog war ebenso ein Romantiker wie ein Realist. Er liebte seinen Enkel aufrichtig und hatte es Philip nie verziehen, daß er Dominick jene Zuneigung verweigerte, nach der der Junge sich sehnte. Allerdings wußte er, weshalb sein Sohn so kühl und abweisend gewesen war. Objektiv betrachtet, hatte Philip gute Gründe dafür gehabt. Trotzdem hatte Rutherford es ihm nicht verziehen.
Vielleicht wäre Philip ein anderer Mensch geworden, wenn Sarah, seine Mutter, nicht im sehr jungen Alter von einunddreißig Jahren an einem schweren Fieber gestorben wäre. Philip war damals erst zehn gewesen. Der Herzog hatte nicht wieder geheiratet. Nach Sarahs frühzeitigem Tod hatte er es nicht über sich gebracht, eine zweite Frau zu nehmen. Er konnte nur einmal im Leben aufrichtig lieben.
Anne war Sarahs Nichte. Ihre Mutter Janice war die jüngste der Stanhope-Schwestern gewesen und zwölf Jahre nach Sarah geboren worden. Auf Sarahs Drängen hatte er das junge Mädchen in die Gesellschaft eingeführt und den extravagantesten Ball für sie ausgerichtet, den es je im Königreich gegeben hatte.
Die gerade erst siebzehnjährige Janice war an jenem Abend unglaublich liebreizend gewesen, unschuldig und voller Träume. Ein Jahr später war sie nach Amerika davongelaufen.
Janice hatte Fred Stewart geheiratet, einen amerikanischen Abenteurer aus Philadelphia. Ein halbes Dutzend Jahre waren die beiden durch das Land gereist.
Rutherford hatte Janice nicht finden können, um sie vom Tod der ältesten Schwester zu verständigen. Viele Jahre später hatte sie ihm aus Boston geschrieben, wo ihr Mann und sie sich endlich niedergelassen hatten. Nach drei Fehlgeburten war sie immer noch kinderlos. Sie und ihr Mann hatten gerade ein Gasthaus eröffnet.
Der Herzog hatte aus ihren Zeilen gespürt, daß Janice unglücklich war, obwohl sie immer wieder betonte, wie wunderbar Boston wäre. Er war wütend, daß sie die Frau eines Gastwirts geworden war, und begriff nicht, weshalb ihr Mann ihr so etwas antun konnte. Es war das einzige Mal, daß sie ihm geschrieben hatte. Im nächsten Brief aus Amerika hatte Stewart ihm mitgeteilt, daß Janice tot war. Sie war bei der Geburt des Kindes gestorben, das sie sich sehnsüchtig gewünscht hatte, einem kleinen Mädchen namens Anne.
Elf Jahre später war Anne als magere, mittellose Waise bei
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