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010 - Skandal in Waverly Hall

010 - Skandal in Waverly Hall

Titel: 010 - Skandal in Waverly Hall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brenda Joyce
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Gebet zu sprechen.
    „Lieber Gott, nimm dich der Seele meines Vaters an und gib ihm seinen Frieden, Amen", flüsterte er.
    Das Bild verschwamm vor seinen Augen. Dominick blinzelte wütend, bis er wieder klar sehen konnte. Sein Blick blieb an einer Gestalt haften. Der Duke of Rutherford war einen Kopf größer als die umstehenden Trauergäste. Barhäuptig stand er da und hielt den Kopf gesenkt. Seine Schultern bebten, und er drückte ein Taschentuch vor den Mund. Offensichtlich weinte er.
    Dominick schluckte trocken. Der Großvater hatte ihm immer näher gestanden als sein eigener Vater.
    Der Sarg war schon auf dem Friedhof angekommen. Er bestand aus poliertem Mahagoniholz mit bronzenen Beschlägen und war mit weißen Nelken geschmückt.
    Dominicks Herz zog sich schmerzlich zusammen. Seine Mutter hatte dafür gesorgt, daß alles perfekt geregelt war. Sie versagte nie, wenn sie in der Öffentlichkeit auftrat. Manchmal hatte er ihre Angst gespürt, in Gegenwart anderer einen unverzeihlichen Fehler zu begehen. Sie war elegant und vornehm, huldvoll und damenhaft. Er, Dominick, hatte keine Ahnung, wie es ihr gelang, stets diese Haltung zu bewahren, vor allem an Tagen wie heute. Aber er begriff, weshalb sie sich darum bemühte. Ciarisse St. Georges, Dowager Marchioness of Waverly, war die Tochter eines Pfarrers und bürgerlicher Herkunft. Niemand, der sie jetzt sah, hätte das vermutet.
    Würde Philip noch leben, wäre Ciarisse St. Georges eines Tages eine äußerst gnädige Herzogin geworden. Dominick versuchte zu erkennen, ob seine Mutter weinte. Doch sie trug einen dichten Schleier, der ihr Gesicht verhüllte. Er wußte, sie würde ihre Trauer nicht öffentlich zeigen. Ja, er war nicht einmal sicher, ob sie überhaupt trauerte. Philip und sie waren seit Jahren getrennte Wege gegangen.
    Dominick starrte auf den Sarg, der jetzt in das Grab gesenkt wurde. Zu spät bedauerte er die Kälte seiner Seele -daß er seinen Vater nicht geliebt hatte, wie es einem Sohn zukam. Zu spät bereute er seine ganze Vergangenheit.
    Wenn sie den einzigen kurzen Augenblick flammender Leidenschaft an jenem fernen schwülen Sommerabend im Garten hinter Waverly Hall nur vergessen könnte.
    Aber Anne konnte es nicht. Es würde ihr niemals gelingen, nicht bis zum Ende ihrer Tage. Der Abend war die Erfüllung ihrer kühnsten Träume gewesen, ihrer wildesten Phantasien. Damals hatte sie geglaubt, daß Dominick sie ebenso liebte wie sie ihn.
    Keine zwei Wochen später hatte sie erfahren, wie sehr sie sich getäuscht hatte und wie naiv sie gewesen war.
    Anne merkte, daß sie immer noch zu der Anhöhe hinaufblickte. Sie starrte schon viel zu lange zu Dominick St. Georges hinüber, und die Trauergemeinde beobachtete sie dabei.
    Rasch schloß sie die Augen. Ihr war unerträglich heiß in dem hochgeschlossenen schwarzen Kleid und der Pelerine. Dominick wird gewiß nicht lange in Waverly Hall bleiben, sagte sie sich. Das würde sie nicht zulassen.
    Sie öffnete die Augen wieder, und ihr Blick ging in jene Richtung, die sie seit ihrer Ankunft auf dem Friedhof gemieden hatte. Felicity trug ein taubengraues Kleid statt eines schwarzen und hatte nie reizender ausgesehen als heute.
    Oder hatte sie, Anne, in den letzten vier Jahren nur vergessen, wie gut die Cousine aussah? Felicity war bildhübsch. In ihrer Gegenwart kam Anne sich noch kleiner, unscheinbarer und kindlicher vor. Sie wurde so verlegen wie schon lange nicht mehr.
    Anne schob das Kinn vor und hob den Kopf. Sie war einundzwanzig und längst kein Kind mehr. Dafür hatte Domi-nick gesorgt. Sie brauchte sich nicht einschüchtern zu lassen oder sogar Angst zu haben. Wahrscheinlich würde Felicity ebenso wie Dominick bald nach London zurückkehren. Sie kam selten aufs Land. Anne wünschte, die beiden würden auf der Stelle wieder gehen.
    Felicity hatte Dominick ebenfalls entdeckt und sah zu ihm hinauf. Ihren Augen war deutlich abzulesen, was sie dachte. Anne wurde das Herz schwer, denn die Vergangenheit kehrte mit aller Macht zurück. Felicity begehrte Dominick immer noch. Anne redete sich ein, daß es ihr gleichgültig sei.
    Trotzdem zitterte sie und fühlte sich entsetzlich schwach. Sie wünschte, sie stünde jetzt nicht an dem offenen Grab. Überall wollte sie sein, nur nicht hier. Wenn Dominick bloß nicht heimgekommen wäre. Doch sie machte sich etwas vor, das wußte sie genau. In Wirklichkeit wartete sie seit langem auf seine Rückkehr. Sie wartete seit vier Jahren, um ihm die Meinung zu sagen -

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