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010 - Skandal in Waverly Hall

010 - Skandal in Waverly Hall

Titel: 010 - Skandal in Waverly Hall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brenda Joyce
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erkennen zu können, doch Anne brauchte es nicht zu sehen, um sich jede Einzelheit vor Augen zu rufen. Dieses Gesicht würde sie nie vergessen, soviel Mühe sie sich auch gab.
    Wie sie den Mann verabscheute!
    Seinetwegen waren die letzten vier Jahren die reinste Hölle für sie gewesen.
    Niemand pflegte Kontakt mit ihr. Alle verurteilten sie. Sie hielten sie für eine Frau, die sie nicht war, und behandelten sie wie eine Aussätzige. Der schlechte Ruf haftete wie eine Klette an ihr. Und alles nur seinetwegen.
    Dominick St. Georges hatte nicht unter dieser Verurteilung zu leiden gehabt.
    Anne konnte sich nicht rühren und bekam kaum noch Luft. Dominick war zurückgekehrt. Sie war nicht sicher gewesen, ob er kommen würde - nicht einmal zur Beerdigung seines eigenen Vaters.
    Ihr Atem wurde flach und ging stoßweise, und ihre Lungen begannen zu brennen.
    Sie hatte geglaubt, Dominick könne ihr nichts mehr anhaben. Aber das war ein gewaltiger Irrtum gewesen. Er übte noch die gleiche Anziehungskraft auf sie aus wie früher.
    Verzweifelt riß Anne sich zusammen. Sie mußte stark sein, vor allem in Gegenwart der Trauergäste, die gekommen waren, um Philip St. Georges, Marquess of Waverly, zur letzten Ruhe zu geleiten. Es waren dieselben Leute, die sie vor Jahren beschuldigt hatten, eine amerikanische Abenteurerin zu sein. Wenn sie jetzt erschüttert wirkte oder bekümmert, würden alle glauben, daß sie Dominick noch liebte. Und er vielleicht auch. Dabei hatte sie auf die harte Weise gelernt, stark zu sein. Es war eine Frage des Überlebens gewesen.
    Köpfe wandten sich dem Neuankömmling zu, und Blicke wechselten von Dominick zu ihr. Ein Anflug von Bitterkeit erfaßte Anne. Vor vier Jahren hatten Dominick und sie einen Skandal heraufbeschworen, doch er hatte nicht darunter leiden müssen.
    Kein bißchen. Über sie hatte man lüsterne Spekulationen angestellt. Sie allein war das Ziel abfälliger Blik-ke und spitzzüngigen Klatsches gewesen. Sie war entsetzlich verraten worden. Und jetzt wagte es Dominick, nach Hause zurückzukehren.
    Das konnte sie unmöglich zulassen.
    Dominick St. Georges betrachtete die dunkel gekleideten Menschen, die um die Grabstelle versammelt waren. Seine Augen waren vor Entsetzen geweitet, und er konnte nicht glauben, was er sah.
    Die Pferde hinter ihm schnaubten. Ihre Flanken waren mit Schweiß und Schmutz bedeckt. Er war in Paris gewesen, als sein Vater erkrankte. Die Nachricht von Philips schwerer Grippe hatte ihn erst vor zwei Tagen erreicht. Er hatte die Stadt sofort verlassen und war Tag und Nacht durchgereist.
    In der Depesche hatte nichts davon gestanden, daß der Marquess of Waverly sterben könnte.
    Dominick schwindelte es ein wenig, und er konnte die Wahrheit nicht fassen. Diese Männer in schwarzen Gehrök-ken und mit Zylindern, diese Frauen in ihren schwarzen Pelerinen ... Der Pfarrer, der an dem offenen Grab stand ... Meine Güte, Philip ist tot, dachte er verzweifelt.
    Sein Vater war tot.

    Dominick begann zu schwanken. Er merkte, daß jemand hinter ihn trat - sein Diener Verig. „Mylord ..." begann der kleine blonde Mann.
    „Laß mich", antwortete Dominick barsch.
    Verig kehrte zur Kutsche zurück. Seine Miene war äußerst besorgt.
    Dominick war seit vier Jahren nicht zu Hause gewesen. Plötzlich füllten seine Augen sich mit Tränen. Dabei war er durchaus kein gefühlvoller Mensch. Er verwünschte sich stumm, weil er so lange fortgeblieben war und seinen Vater nie richtig kennengelernt hatte.
    Er konnte nicht einmal behaupten, daß er Philip geliebt hätte, denn er war von Kindermädchen und Privatlehrern erzogen worden. Seinen Vater hatte er täglich genau zehn Minuten vor Beginn des Abendessens gesehen, um nach dem Fortgang seiner Studien befragt zu werden. Und auch das nur, wenn Philip in Waverly Hall anwesend war, was selten vorkam. Sein Vater war ein begeisterter Antiquitätensammler gewesen und viel gereist. Die meiste Zeit des Jahres hatte er auf dem Kontinent verbracht.
    Er, Dominick, war gleich nach seinem zwölften Geburtstag nach Eton gekommen und anschließend genauso selten zu Hause gewesen wie der Vater. Unmittelbar vor seiner Abreise - vielleicht auch kurz danach - war ihm Philip St. Georges ebenso gleichgültig geworden wie er ihm.
    Sie waren Vater und Sohn gewesen, aber innerlich hatte sie nichts verbunden.
    Trotzdem ließ der heutige Tag Dominick nicht kalt.
    Er strich über sein stoppeliges Kinn und fühlte sich so elend, als müßte er sich jeden Moment

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