0101 - Die Menschentiger
Sie strahlte noch etwas von jener ursprünglichen Wildheit aus, die den in der Zivilisation lebenden Menschen verlorengeht. Ihr Tanz hatte etwas schwer beschreiblich Animalisches an sich, das Professor Zamorra vollkommen, in seinen Bann zog.
Sein Denken löste sich auf in einem Nebel von Empfindungen. Es war wie ein Rausch, von einer exotischen Droge verursacht. Alle seine Sinne waren gereizt, wirkten überzogen wie eine gespannte Stahlfeder. Er kam sich vor wie eine Bombe, an der schon die Lunte glimmt. Er konnte den Anblick kaum mehr ertragen, und doch wandte er sich keinen Sekundenbruchteil lang ab. Nicht einmal die Lider klappten ab und zu nieder, um die Hornhaut feucht zu halten. Er konnte seine Blicke nicht mehr von dem Mädchen wenden, und wenn sein Leben davon abgehangen hätte.
Er war verzaubert.
Ja — das war das richtige Wort.
Er kam nicht mehr von ihr los. Tief in seinem Innersten war etwas in Unordnung geraten.
Der Tanz wurde langsamer, die zierlichen Füße wirbelten weniger schnell über den Steinboden, das Zucken dieses von schwarzseidenem Haar umrankten Kopfes ließ nach. Allmählich blieb nur mehr ein leises Vibrieren, bis sich auch das verlor. Das Mädchen schaute ihn an. Zamorra sah, daß Rahndra unwahrscheinlich blaue Augen hatte.
Doch auch bei ihr kamen ihm die Pupillen leicht oval vor, er maß aber diesem Umstand jetzt keine Bedeutung mehr bei.
»…Meine Tochter«, stellte Shurina das Mädchen unnötigerweise vor. »Ich habe ihr schon von Ihnen erzählt, als Sie schliefen. Begrüße unsere Gäste, Rahndra.«
Das Mädchen trat näher, wirkte in keiner Weise befangen, obwohl es fast nackt war. Zamorra ertappte sich dabei, wie seine Blicke über das stramme Fleisch der langen Oberschenkel strichen.
Rahndra lächelte, und ihr Mund lächelte auf eine provozierende Weise, die verriet, daß sie genau wußte, was Zamorra in diesen Sekunden dachte.
»Willkommen«, sagte sie mit einer Stimme wie eine Melodie und streckte Zamorra ihre braune Hand entgegen.
Sie war nicht heiß, wie sie nach diesem rasenden Tanz hätte sein müssen. Zamorra vermochte überhaupt keine Anzeichen der eben vollführten Anstrengungen festzustellen. Nicht einmal ihr Herz schlug schneller als gewöhnlich.
Doch was war an diesem Mädchen schon gewöhnlich?
Nichts!
Zamorra kam sich Rahndra gegenüber wie ein Schuljunge vor, obwohl er knapp zwei Köpfe größer war als sie. Errötete er nicht auch?
Er begann erst wieder einigermaßen normal zu denken, als Rahndra ihre Hand sacht der seinen entzog und sich Nicole zuwandte.
Es war wie ein Erwachen aus einem tiefen Traum.
Nicoles Züge waren erstarrt. Sie zog kaum die Lippen auseinander, als sie Rahndras freundlichen Gruß eisig erwiderte. Dann schaute sie auch schon wieder zu Zamorra herüber, der sich ertappt vorkam. In seiner Miene mußten sich die plötzlich aufgekeimten Wünsche und Begierden gespiegelt haben. Vor Nicole konnte er nichts verbergen. Dafür kannten sie sich schon zu lange. Außerdem kam es vor, daß zwischen ihnen eine Art telepathischer Kontakt entstand.
Nicole wußte genau, daß er dieses Mädchen begehrte. Als Mann begehrte. Und er tat es immer noch.
Unversehens fühlte Zamorra Zorn in sich aufsteigen. Er war auf Nicole noch nie ernsthaft zornig gewesen. Diesmal jedoch geschah es.
Ich bin nicht mit ihr verheiratet! schoß es ihm plötzlich durch den Kopf. Und verdammt will ich sein, wenn es nicht gut ist, daß es so ist. Was kümmert sie sich um meine Angelegenheiten!
Ganz hinten in seinem Bewußtsein war ihm klar, was für ein Narr er doch eigentlich war, doch er unterdrückte diese Gedanken. Er mußte dieses exotische Mädchen besitzen. Alles andere war ihm im Augenblick egal. Auch die langjährige Liebe und Freundschaft, die ihn mit der kapriziösen Französin verband.
»Chef…«
Nicole flüsterte fast. Das winzige Wort klang weinerlich und resigniert. Als Frau wußte Nicole Duval, wann eine Frau verloren hatte…
***
Nicole entschuldigte sich bald nach dem Nachtmahl und ließ sich von Shurina einen Raum zuweisen, in dem sie die Stunden bis zum Morgen verbringen konnte. Zamorra warf ihr nicht einmal einen Blick nach. Er hatte nur Augen für das Mädchen Rahndra, das wie eine schnurrende Katze an seinen Knien kauerte und ihn mit ihren blauen Augen verrückt machte.
In Tonschalen brannten kleine Feuer, wie Irrlichter im gewölbeartigen Saal unter dem Kuppeldach der Pagode verstreut. Die Nacht war lau, und draußen lärmten Zikaden,
Weitere Kostenlose Bücher