0101 - Die Menschentiger
Schlange, die tödliche Kobra.
Doch in diesem Traumgebilde, wie auch auf der Statue, vor der das Mädchen Rahndra ihren Beschwörungstanz getanzt hatte, saß auf der Lanzenspitze ein stilisierter Tigerschädel. Durgha als Gehilfin eines Dämons, von dem Zamorra noch nie etwas gehört hatte?
Ein häßliches Gelächter drang aus dem Mund des weiblichen Dämons, quälte Zamorra mit seinem hallenden, hundertfachen Echo, das zu orkanartigem Getöse anschwoll, um abrupt abzubrechen und einer widerlich gespenstischen Stille zu weichen.
Das Bild des Tigerhauptes löste sich auf, verging wieder in den Nebelschwaden, aus denen es geboren war.
Professor Zamorra erwachte schweißgebadet. Das Lachen aus dem Traum hallte noch in seinem Schädel nach, ließ ihn dröhnen wie eine Glocke aus Bronze.
Schmerzhaft grell stach ihm das Morgenlicht in die Augen, und schlagartig rückten die Geschehnisse der letzten vierundzwanzig Stunden in sein Bewußtsein.
Rahndra!
Er tastete um sich, suchte nach ihr, doch er befand sich allein im Raum mit den Kissen und Polstern. Am Tag machte er sich alt, heruntergekommen und schäbig aus. Die Polster waren nicht sauber.
Zamorra sah an sich hinunter und bemerkte, daß er nackt war. Gegen seinen Willen lief er rot an im Gesicht und schlüpfte hastig in seine verstreut herumliegende Kleidung. Beim Anziehen bemerkte er, daß er über und über zerkratzt war, als wäre er in einen Dornenbusch gefallen.
Und dann fiel ihm auch noch ein seltsamer Geruch auf, der wie ein Parfüm im Zimmer hing. Aber es war nicht Rahndras frischer, wilder Duft. Der hier war nur wild. Die Ausdünstung einer Raubkatze reizte seine Schleimhäute.
Zamorra konnte sich noch an jede Sekunde des vergangenen Abends und der Nacht erinnern. Bis hin zur Sekunde des Hinübergleitens in seinen Traum.
»Ich war doch nicht betrunken«, murmelte er. »Verdammt noch mal, was war nur in mich gefahren?«
Es wäre leicht für ihn gewesen, sich in die Annahme zu flüchten, die Gastgeberinnen hätten ihm eine Droge verabreicht, doch so billig ließ er sich nicht davonkommen. Er wollte einstehen für das, was er getan hatte. Er redete sich ein, daß bei einem Mädchen wie Rahndra jeder andere Mann auch hätte schwach werden können, und die Früchte, die sie ihn hatte kosten lassen, waren süß gewesen.
Er bereute dieses Abenteuer nicht einmal sonderlich. Nur fühlte er jetzt ein beklemmendes Unbehagen hochsteigen. Gewissensbisse meldeten sich an. Wegen Nicole, der er jetzt wie ein rettungslos verlorener Idiot Vorkommen mußte. Er hatte ihr mit seinem Verhalten wehgetan, und das schmerzte auch ihn.
Plötzlich fühlte er das Bedürfnis in sich, sich bei seiner Sekretärin und Geliebten zu entschuldigen, und es mußte sofort sein. Solange er noch den Mut dazu hatte.
Dann würden sie versuchen, so schnell wie möglich von hier wegzukommen. Der Gedanke nahm ihn für Sekunden so gefangen, daß er gar nicht mehr daran dachte, wie es sie hierherverschlagen hatte. Im Augenblick war nur Nicole für ihn wichtig.
Er mußte sofort zu ihr. Sie war eine verständige Frau. Sie würde Nachsicht mit ihm haben.
Nur — wo würde er sie finden?
Er hatte Angst, sich in dieser Pagode zu verlaufen. Er hatte auch nicht die geringste Ahnung davon, in welchen Teil davon er Rahndra vergangene Nacht gefolgt war.
Er trat an das bogenförmig geschwungene Fenster, um sich vielleicht nach dem Sonnenstand orientieren zu können.
Das war der Augenblick, als ein gellender Schrei sein Blut gefrieren ließ.
Er klang nach einem Todesschrei, und niemand anders als Nicole hatte ihn ausgestoßen.
Zamorra hetzte mit einem Riesensatz an die Öffnung im Mauerwerk. Vor ihm das Wasser des Sumpfs, ein schmaler Strandstreifen. Und dann die alte Khube, deren Tochter Shurina und das Mädchen Rahndra.
Zu dritt versuchten sie, Nicole am knietiefen Ufer zu ertränken.
***
Bill Fleming wurde schon beim ersten Morgenstrahl geweckt. Der Dorfälteste ließ es sich nicht nehmen, seinen Gast bis zur Hafenmole zu begleiten, wo bereits das Gepäck auf Khan Raf Shuks Motorboot verstaut war.
Der Schwiegersohn des Bürgermeisters griente, als er Bill die Hand zum Gruß entgegenstreckte.
»Wir sind bereit«, sagte er. »Zelte, Ausrüstung und Proviant für eine Woche. So, wie Sie es gewünscht haben, Sir.«
Bill nahm widerwillig die Hand des Mannes. Sie fühlte sich weich und schlaff wie ein toter Fisch an. Dazu war sie noch feucht. Bill Fleming haßte Leute mit solchen Händen.
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