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0102 - Der Satan mischt die Karten

0102 - Der Satan mischt die Karten

Titel: 0102 - Der Satan mischt die Karten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Delfried Kaufmann
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hielt. Dennoch wurden sie genau befolgt. Nur die Aufmerksamkeit und das Mißtrauen ließen im Laufe der Jahre nach.
    Am Morgen dieses Freitags kam um acht Uhr dreißig ein alter, schon leicht gebückter Herr mit grauem, ungepflegtem Schnurrbart durch den Haupteingang in das Verwaltungsgebäude der Textilfabrik. Er ging schüchtern auf den Portier zu, der für Auskünfte der Besucher und Kunden bereitstand.
    »Entschuldigen Sie, Sir«, lispelte er. »Ich möchte Ihrem Einkauf ein Angebot unterbreiten.«
    »Worin?« fragte der Portier streng.
    »Wie? — Ach so, in Büromaterial. Wir sind sehr leistungsfähig in Farbbändern, Durchschlagpapier, Radiergummi und Bleistiften, aber auch in Briefbögen können…«
    »Schon gut«, unterbrach der Portier. »Melden Sie sich im zweiten Stock im Vorzimmer von Mr. Gosten. Nummer 206. Ich weiß aber nicht, ob er Sie empfängt. Dort ist der Aufzug.«
    Der alte Herr dankte und hinkte durch die Halle auf den Lift zu. Der Portier empfand eine Regung von Mitleid. Der Alte schleppte einen großen Koffer, in dem sich offenbar seine Musterkollektion befand.
    »Armer Kerl«, murmelte der Portier im angenehmen Gefühl seines sicheren Einkommens. »Gosten kauft ihm bestimmt nichts ab. Er ist zu hochnäsig.«
    Er ging dem alten Vertreter nach, holte ihn ein und griff nach seinem Koffer.
    »Ich trage Ihnen das Ding bis zum Lift. Ist bestimmt schwer!«
    Der Alte zuckte zusammen und zog den Koffer näher an sich heran. »Nein, vielen Dank. Es geht schon. Ich bin daran gewöhnt.«
    Der Portier zuckte die Achsel und kehrte zu seinem Platz zurück. Er sah den Alten vor dem Lift stehen und warten. Dann kam der Lift. Zwei junge Mädchen, Stenotypistinnen, stiegen, eifrig schwätzend aus.
    Der Vertreter drückte sich in den Lift und verschwand nach oben. Ein anderer Besucher trat mit einer Frage an den Portier heran.
    Es war ein Selbstfahrerlift, einer dieser Aufzüge, die die Liftboy-Gewerkschaft als ihre schlimmsten Feinde betrachtet, weil sie von ihnen überflüssig gemacht werden.
    Der Alte fuhr nicht zum zweiten Stock, sondern bis in den fünften hinauf. Hier oben befanden sich das Archiv, die Musterablage und noch ein paar Abteilungen, in denen sich gewöhnlich nicht viele Angestellte aufhielten.
    Der angebliche Büromaterialvertreter verschwand in der Herrentoilette. Zehn Minuten später kam er wieder heraus. Er trug immer noch den Koffer, aber sein Äußeres hatte sich sehr verändert. Statt des Mantels trug er einen Arbeitskittel von grauer Farbe. Solche Kittel wurden von der Firma den Betriebsangehörigen als Arbeitskleidung gestellt. Die Arbeiter und Arbeiterinnen an den Fließbändern, die Aufsichtspersonen und die Meister trugen sie.
    Der Mann ging die langen Korridore des Verwaltungsgebäudes entlang. Er erreichte den Nordflügel, wo sich eine Treppe befand, die wenig benutzt wurde. Er stieg diese Treppe in der Gangart eines Mannes hinunter, der es eilig hat. Die Treppe führte nicht in die Halle, sondern in einen Flur auf dem Erdgeschoß, von dem aus eine Tür in eine Werkshalle führt.
    Der Mann in dem grauen Kittel öffnete die Pendeltür zur Halle. Das Geratter der automatischen Nähmaschinen schlug an sein Ohr. Ein paar hundert Mädchen saßen gebückt über den Maschinen an den Fließbändern. Meister und Aufsichtspersonal beobachteten die Arbeit. Transportkarren und Hubfahrzeuge bahnten sich ihren Weg zwischen Stoff stapeln, Knopfkisten und Stellagen.
    Der angebliche Vertreter ging durch die Halle. Niemand beachtete ihn. Die Torshire-Company beschäftigt rund achttausend Arbeiter und Angestellte, Männer und Frauen. Niemand kann jeden einzelnen Beschäftigten kennen.
    Am anderen Ende der Halle erreichte der Mann den ersten Innenhof. Es war genau neun Uhr. Er wartete. Zwei Minuten später fuhr der Transportwagen der Aible-Gesellschaft in den Hof ein. Ein Pförtner schloß hinter dem Auto und den beiden Motorradfahrern das elektrisch betriebene Gitter.
    Die Wächter stellten ihre Mottorräder ab, nahmen die Pistolen aus den Futteralen.
    »Go on, Jack!« rief einer von ihnen.
    Die Tür des Wagenaufbaues wurde geöffnet. Die Begleitbeamten sprangen heraus, luden die Säcke und die Aktentasche ab und schickten sich an, sie zum Hintereingang des Tresors zu tragen.
    Der Mann im grauen Kittel hatte diese Prozedur vom Ausgang der Halle aus beobachtet. Niemand beachtete ihn. Wenn er von einem der den Geldtransport begleitenden Männern überhaupt gesehen wurde, so wurde er doch von ihnen

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