0102 - Die Horde aus dem Jenseits
Wohnzimmer und hielt das Gefährt erst an, als er das Fenster erreicht hatte. Im Raum roch es muffig. Es sah unaufgeräumt aus. Robertson erwähnte beiläufig, daß er allein lebe und daß nur zweimal in der Woche eine Frau zu ihm komme, um das Haus in Ordnung zu bringen. Zweimal in der Woche bekomme er auch etwas Warmes zu essen. Die übrige Zeit lebe er von Brot, Käse und Wurst.
Verdrossen klopfte er auf seine lahmen Beine. »Ein Traktorunfall. Die Leute behaupten, ich hätte großes Glück gehabt. Ich hingegen sage, es war Pech. Es wäre besser gewesen, wenn ich nicht mit meinen Beinen, sondern mit dem Kopf unter den verdammten Traktor gekommen wäre.«
An den Wänden hingen Fotos.
Jerome Robertson hatte mal eine Familie gehabt. Jetzt hatte er keine mehr. Seine Frau war bei der Geburt ihres zweiten Kindes gestorben, und seine beiden Söhne lebten auch nicht mehr. Der eine war mit seinem funkelnagelneuen Motorrad mit hundertfünfzig Sachen aus der Kurve geflogen. Der andere war im Meer ertrunken, als er im letzten Sommer mit Freunden nachts baden ging. Es war kein Wunder, daß Robertson verbittert war.
»Ich bin gezwungen, ein eintöniges, langweiliges Leben zu führen«, beklagte sich Robertson. »Die meiste Zeit sitze ich hier am Fenster und gaffe hinaus.«
»Auch nachts?«
»Wenn ich nicht schlafen kann - ja.«
»Konnten Sie in der vergangenen Nacht schlafèn?«
»Nein. Ich kann es fast nie.«
»Dann haben Sie vermutlich Walter Sherman gesehen«, sagte Nicole.
Robertson nickte. »Ihn und diesen gottverdammten Säufer…«
»Irving Hill.«
»Genau«, sagte Robertson. Er lächelte kurz. »Sie scheinen über die Leute von Tunstall schon gut Bescheid zu wissen, Miß Duval.«
Nicole bat Jerome Robertson, ihr zu zeigen, aus welcher Richtung Sherman und von wo Hill gekommen war. Der Mann im Rollstuhl erfüllte ihr ihren Wunsch und fuhr fort: »Und dort drüben redeten sie dann kurz ein paar Worte miteinander.«
»Und anschließend?«
»Ging jeder seines Weges…« Jerome Robertson fuhr sich mit der Rechten über die Augen. »Das heißt… so genau weiß ich das eigentlich nicht.«
Nicole horchte erstaunt auf. »Wieso nicht?«
»Nun, ich sah Irving Hill weitertorkeln, aber ich kann mich nicht mehr erinnern, was Walter Sherman machte. Blieb er? Ging er? Ich weiß es nicht mehr.«
»Kommt es öfter vor, daß Sie sich an irgend etwas nicht mehr erinnern können, Mr. Robertson?«
»Warum fragen Sie mich nicht gleich, ob ich bereits verkalkt bin?« erwiderte der Mann im Rollstuhl ärgerlich. »Verdammt, mein Gedächtnis ist nach wie vor ausgezeichnet, Miß Duval. Mein Gehirn ist das einzige an mir, das immer noch hervorragend funktioniert.«
»Und doch wissen Sie nicht mehr, ob Walter Sherman weitergegangen ist, oder was er sonst gemacht hat. Finden Sie das nicht eigenartig?«
»Ich kann es mir nicht erklären.«
»Versuchen Sie, das Rad der Zeit noch mal zurückzudrehen, Mr. Robertson.«
Der Mann im Rollstuhl schüttelte unwillig den Kopf. »Wozu denn?«
»Bitte, Mr. Robertson. Vielleicht fällt Ihnen doch noch etwas ein, das unter Umständen von großer Bedeutung ist. Sie möchten doch sicher auch, daß Walter Sherman wiedergefunden wird.«
»Ich wüßte nicht, was ich dazu beitragen könnte.«
»Sherman und Hill trennten sich. Hill wankte weiter. Ich nehme an, Sie sahen ihm so lange nach, bis er aus Ihrem Gesichtsfeld verschwand.«
»Das steht fest. Und ich dachte mir: >Da torkelte er dahin, der blöde Hund, besäuft sich Tag für Tag und weiß mit seinem Leben nichts anzufangen, während ich gezwungen bin, in diesem gottverfluchten Rollstuhl zu hocken. Könnte es nicht umgekehrt sein? Könnte nicht er an meiner Stelle sein? Das habe ich gedacht. Wahrscheinlich mißfallen Ihnen solche Gedanken, aber so ist der Mensch nun mal. Er findet alles ungerecht, was ihm zustößt, und er fragt sich bei jedem neuen Mißgeschick: >Warum mußte das ausgerechnet mir zustoßen? Warum ist das keinem ändern passiert?<«
Nicole führte Jerome Robertson zum Thema zurück, indem sie sagte: »Irving Hill verschwand aus Ihren Augen. Eigentlich hätten Sie sich danach zwangsläufig auf Walter Sherman konzentrieren müssen. Haben Sie das getan?«
»Ich glaube, ja.«
»Sie wissen es nicht genau?«
»Zum Teufel, nein!« brauste Robertson auf. »loh glaube, ich habe Sherman noch mal kurz gesehen.«
»Wo?«
»Ich weiß es nicht genau. Vielleicht beim Brunnen.«
»Und dann?«
Robertson schlug sich wütend auf die
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