0102 - Die Horde aus dem Jenseits
Worte. Was auch immer geschehen sollte, sie durfte sich von diesem Dämonenbanner nicht trennen. Andererseits aber hatte sie ohnedies kein Vertrauen in dieses Spielzeug, und sie wollte Walter gern die Freude machen, es abzunehmen Wieder griff sie nach dem harten Lederknoten.
Shermans Augen glitzerten erregt. »Ja«, flüsterte er eindringlich. »Ja, mach es ab. Es taugt sowieso zu nichts, und mir gefällt es nicht. Es ist häßlich, und es macht auch dich häßlich, deshalb muß es weg. Wirf es in den Mülleimer. Oder noch besser: verbrenn es.«
»Ich bekomme den Knoten nicht auf«, sagte Geraldine.
»Verdammt noch mal, dann streif den Lederriemen eben über den Kopf«, sagte Walter Sherman aufgewühlt.
»Das geht nicht. Dazu ist die Schlinge zu eng. Mach du mir den Knoten auf.«
»Ich?« Es klang erschrocken, bestürzt.
»Warum nicht?«
Sherman schüttelte wild den Kopf. »Ich rühr’ das verfluchte Ding nicht an!« krächzte er.
Geraldine fiel es plötzlich wie Schuppen von den Augen. Walt konnte den Dämonenbanner nicht angreifen. Es war ihm unmöglich! So sah es aus. Das Mädchen machte einen schnellen Schritt auf ihn zu. Er zuckte zurück. Seine Augen starrten den Dämonenbanner entsetzt an. Es irrlichterte in seinem Blick.
»Du bist nicht Walt Sherman!« schrie Geraldine ihm ins wutverzerrte Gesicht.
Er lachte schrill. »Hör mal, wer sollte ich denn sonst sein? Sehe ich denn nicht aus wie dein Walt?«
»Du siehst nur so aus wie er, aber du bist es nicht. Walt könnte den Knoten lösen.«
»Ich kann es ja. Aber ich will nicht! Sag mal, Geraldine, bist du nicht mehr ganz richtig im Oberstübchen? Wie kannst du behaupten, ich wäre nicht Walter Sherman?«
»Beweise es mir.«
»Zum Teufel, wie denn?«
»Küß mich«, verlangte das Mädchen. Sie ging auf Sherman zu. Seine Augen waren in Panik auf den Dämonenbanner geheftet. Er wich immer mehr zurück. Schließlich stieß er mit dem Rücken gegen die Wand. Und dann bekam Geraldine die Bestätigung dafür, daß sie recht hatte zu behaupten, ihr Gegenüber wäre nicht Walter Sherman. Sein Rücken tauchte in die Wand ein. Er versank in der Mauer, als bestünde sie aus zähflüssigem Brei, und innerhalb weniger Augenblicke war er nicht mehr zu sehen.
Jetzt erst kam der Schock für Geraldine Norris.
Sie stieß einen heiseren Schrei aus, schlug die Hände vors Gesicht und begann haltlos zu weinen.
***
Bill Flemings Gesprächspartner war ein mickriger, griesgrämiger Eigenbrötler namens Ken Page, der sich zunächst einmal strikt weigerte, mit dem Fremden ein Wort zu reden. Dabei ging es ihm absolut nicht um das Thema, sondern einfach ums Prinzip: Er mochte keine fremden Leute, er hielt sie im vorhinein erst mal alle für schlecht, hinterhältig und gemein. Von Fremden war nichts Gutes zu erwarten, das war seine Meinung, und von der war er nicht abzubringen.
Bill mußte Page ziemlich hart anpacken, um ihn weichzubekommen. Erst nachdem er dem Mann wie einem kranken Pferd ins Gewissen geredet hatte, erklärte sich Ken Page in Gottes Namen bereit, mit dem Amerikaner zu sprechen.
Rein zufällig hätte er Sherman und Hill gesehen, sagte er. Er wäre alles andere als neugierig, und er sei eigentlich schon im Bett gewesen, als die beiden sich dort draußen auf dem Dorfplatz getroffen hätten. Der Durst hätte ihn nicht einschlafen lassen, und so wäre er noch einmal aus den Federn gekrochen, um sich eine Flasche Bier zu holen. Dabei wäre er am Fenster vorbeigekommen, und da seien ihm Sherman und Hill aufgefallen.
Und dann kam das Sonderbare: Page konnte sich sehr gut an alles erinnern, was Irving Hill gemacht hatte, aber er hatte keinen blassen Schimmer, ob Sherman noch eine Weile auf dem Dorfplatz geblieben oder gleichfalls weitergegangen war.
»Das stimmt doch irgend etwas nicht«, sagte Bill Fleming. Ihm fiel auf, daß die Mauern des alten Hauses bis zu einem halben Meter hoch feucht waren. Damit war seine geistige Frage, woher der Modergeruch in diesem Raum kam, hinlänglich beantwortet.
Ken Page ballte sofort grimmig die Fäuste. Er war um einen Kopf kleiner als Bill, aber das hinderte ihn nicht daran zu knurren: »Wenn Sie denken, mich einen Lügner nennen zu dürfen, haben Sie sieh ganz gehörig geschnitten, Mr. Fleming. So groß können Sie gar nicht sein, daß ich Ihnen dafür nicht die Zähne einschlagen würde!«
Der Amerikaner bleckte sein Gebiß. »Nun lassen Sie doch mal Dampf ab, Mann. Hören Sie auf, in jedem Menschen einen Feind zu
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