011 - Der grüne Brand
Harding von dem armen John - ich fürchte durch Anwendung von Gewalt - erfahren hat. Seitdem legt er es darauf an, das Mädchen zu heiraten und damit ein riesiges Vermögen in die Hände zu bekommen.«
»Und wie wurde Mr. Beale in die Sache verwickelt?« fragte der Inspektor.
»Nun, den ließ ich eigens aus New York kommen, um Harding zu beobachten und das Mädchen zu beschützen. Im Verlauf seiner Tätigkeit ist Mr. Beale auf eine andere Angelegenheit gestoßen, über die ich nicht weiter orientiert bin.«
»Dem Mädchen wollen Sie nichts sagen?«
»Nein, keinesfalls. Ich muß mich an mein Versprechen halten und kann ihr von der Erbschaft erst nach ihrer Heirat erzählen. - Wäre es eigentlich nicht das beste, Sie würden Ihr Büro nach New York verlegen und sie dorthin mitnehmen, Mr. Beale?«
Beale schüttelte den Kopf.
»Nein, das werde ich nicht tun. Hier habe ich die Möglichkeit, sie genauso gut zu beschützen und gleichzeitig das Gelingen von Hardings großem Plan zu verhindern.«
Kitson verzog den Mund.
»Ich weiß nicht, ob sich das miteinander vereinbaren läßt«, sagte er. »Auf jeden Fall will ich Miss Cresswell sehen - das wird doch keine Schwierigkeiten machen?«
»Nicht im geringsten«, entgegnete Beale. »Ich werde ihr erzählen, daß Sie sich für ihre Arbeit interessieren.« Er lächelte. »Ich könnte Sie ihr sogar als Mr. Scobbs vorstellen.«
»Wer ist Mr. Scobbs?«
»Ein Hotelbesitzer im Westen Kanadas und meiner Meinung nach ein lobenswerter, harmloser Geschäftsmann. Miss Cresswell ist sein Name aus irgendeinem Grund aufgefallen.«
»Scobbs«, wiederholte der Anwalt nachdenklich. »Der Name kommt mir irgendwie bekannt vor . . .«
»Brauchen Sie mich eigentlich noch?« fragte der Inspektor.
»Es wäre mir lieb, wenn auch Sie Miss Cresswell kennenlernten«, erwiderte Beale. »Vielleicht brauchen wir Sie eines Tages noch.«
Mr. Beale verließ seine Wohnung und klingelte an Margarets Tür. Niemand öffnete. Er klopfte und klingelte noch einmal -kein Laut war zu hören. Erschrocken fiel ihm ein, daß er das Mädchen den ganzen Tag noch nicht gesehen hatte, da er an der gerichtlichen Untersuchung im Fall Jackson teilgenommen hatte. Vor zwei Stunden hatte er aber doch gehört, wie ihre Tür geschlossen wurde. Schnell lief er zurück in seine Wohnung.
»Sie ist nicht zu Hause«, sagte er erregt. »Das verstehe ich nicht. Ich habe sie gestern ausdrücklich gebeten, eine Zeitlang abends nicht auszugehen.«
Er holte eine Taschenlampe, ging in sein Schlafzimmer und öffnete die Balkontür. Das Trenngitter des kleinen Balkons, der die beiden Wohnungen miteinander verband, hatte er im Nu überstiegen. Ihr Fenster war zwar geschlossen und verriegelt, aber mit der Geschicklichkeit eines Berufsverbrechers öffnete er es und kletterte in ihr Schlafzimmer.
Er machte Licht und blickte sich um. Ihr Mantel und der Hut lagen auf dem Bett. Im Schrank hingen alle ihre Kleider - er kannte sie längst -, und auch die Schubladen der Kommode waren zu. Nirgends war die geringste Unordnung, auch nicht im Wohnzimmer - trotzdem sagte ihm ein unerklärliches Gefühl, daß sich hier vor kurzer Zeit irgend etwas Unheimliches abgespielt hatte. Dann entdeckte er auf dem Boden einen Schuh, dessen Absatz gebrochen war. Er steckte ihn ein und lief in die Küche. Die Fußmatte vor dem Spültisch war verschoben, und an der Wand neben der Tür sah man zwei lange Kratzer. Er sog die Luft ein - ein schwacher, süßlicher Geruch sagte ihm alles: Äther!
Er ging ins Wohnzimmer. Das kleine Schreibpult war offen, ein angefangener Brief lag darauf. Er war an ihn gerichtet:
›Lieber Mr. Beale!
Besondere Umstände zwingen mich, sofort nach Liverpool zu reisen.‹
Weiter nichts.
Er steckte das Schreiben ein und ging in seine eigene Wohnung zurück.
Den anderen erklärte er kurz die Sachlage, dann ging er hinüber zur Wohnung des Arztes und läutete.
10
Der Doktor, in Hausschuhen und Hausjacke, öffnete.
»Auf ein Wort, Doktor«, sagte Beale.
»Aber gerne«, entgegnete der Arzt freundlich. »Kommen Sie herein.«
Beale folgte ihm in sein Arbeitszimmer.
»Wann haben Sie Miss Cresswell zuletzt gesehen?« fragte er dort ohne weitere Umstände.
»Ich habe sie heute überhaupt noch nicht gesehen«, entgegnete der Doktor nach kurzem Zögern. »Seit ich von der Gerichtsverhandlung zurück bin, habe ich meine Wohnung noch nicht verlassen. Mit welchem Recht stellen Sie mir eigentlich so indiskrete Fragen?«
»Ich werde Ihre
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