011 - Der grüne Brand
zehn Shilling auf eine NickelHerrenuhr geliehen hatte. Der Pfandschein lautete auf den Namen Harden. Verwirrt blickte sie das Blatt an. Hatte das etwas mit Harding zu tun? Weshalb sollte er eine Uhr verpfänden und dann den Pfandschein so sorgfältig aufbewahren?
Margaret zögerte einen Augenblick - dann steckte sie den Schein zu sich, legte das Kuvert wieder in die Kassette und verschloß sie. Sie hatte die Schubladen gerade wieder zugedrückt, als sich die Zimmertür öffnete. Unter der Tür stand der Mann, der sie ins Zimmer getragen hatte.
Sein Gesicht hatte einen eigenartigen Ausdruck, der ihr Angst einflößte. Den Schutzanzug hatte er abgelegt.
»Machen Sie keinen Lärm«, flüsterte er mit einem unterdrückten Kichern. »Wenn Gregory mich hört, macht er mir die Hölle heiß.«
Leise zog er die Tür hinter sich ins Schloß.
»Mein Name ist Bridgers«, stotterte er. Er zog eine kleine Dose aus der Tasche und öffnete sie - sie sah ein weißes, glitzerndes Pulver. »Nehmen Sie eine Prise«, bat er eifrig, »und alle Ihre Sorgen sind weg.«
»Danke, nein«, sie schüttelte den Kopf und sah ihn mit einem verständnislosen Lächeln an. »Ich weiß nicht, was das ist.«
»Der weiße Schrecken«, er kicherte wieder. »Viel besser als der grüne!«
»Ich bin nicht in der Stimmung für Schrecken irgendwelcher Art«, entgegnete sie mit einem halben Lächeln. Sie überlegte, weshalb er wohl gekommen sei, und hatte einen Augenblick lang die Hoffnung, daß er über die wahren Zustände in diesem Haus im unklaren war.
»Na, meinetwegen«, sagte er und schob die Dose wieder in die Tasche. »Es ist Ihr eigener Schaden. Nie im Leben werden Sie sich so herrlich fühlen wie ich!«
Sie wartete.
Die ganze Zeit schien er in nervöser Spannung zu sein. Mitten in einem Satz hielt er plötzlich inne und horchte zur Tür hin. Erleichtert stellte sie aber fest, daß er keinen Versuch machte, ihr näher zu kommen. Es war ihr klar, daß er unter dem Einfluß eines Rauschgiftes stand. Die Augen waren unnatürlich geweitet und glänzten, seine Hände waren blaß und in ständiger Bewegung.
»Ich heiße Bridgers«, sagte er wieder. »Und ich werde Ihr Trauzeuge sein! Früher war ich einmal einer der besten Chemiker, die je an einer Universität promoviert haben - inzwischen bin ich ziemlich tief gesunken; meinen Sie nicht auch?« Er ging zur Tür, horchte hinaus und kam auf Zehenspitzen zurück.
»Sie sind doch im Bilde«, stotterte er. »Sagen Sie mir - was wird hier gespielt?«
»Was gespielt wird?« wiederholte sie.
»Ja. Um was handelt es sich? Ich habe versucht, aus Gregory und Milsom etwas herauszukriegen, aber die hüllen sich in Schweigen. Warum werden ständig Leute nach Amerika, nach Kanada, Australien, Südamerika, Afrika und Indien geschickt? Das Büro habe ich ja gesehen. Tausende versiegelter Kuverts, die Schiffskarten und Geld enthalten, Tausende von Telegrammformularen, die schon adressiert sind. Mich kann man doch nicht hinters Licht führen!« Die letzten Worte schrie er ihr fast ins Gesicht. »Zu welchem Zweck stellt er den Auswurf der Wissenschaft an? Warum holt er sich seine Leute nicht von den Universitäten?«
Sie schüttelte den Kopf; im Augenblick interessierten sie weniger die Ausführungen Mr. Bridgers' als ihr eigenes Schicksal. Es war klar, daß der Mann von den Umständen, unter denen sie ins Haus gekommen war, nichts wußte. Für ihn war sie offenbar eine freiwillige Mitarbeiterin des Doktors, die sich aus irgendeinem Grund hinter verschlossener Tür aufhalten mußte.
»Ich erzähle Ihnen alles, wenn Sie mich zu meiner Wohnung begleiten«, sagte sie rasch. »Hier kann ich Ihnen kein Beweismaterial zeigen.«
Er sah sie argwöhnisch an, dann lachte er.
»Ich kann ja nicht weg von hier«, erwiderte er böse. »Übrigens habe ich Sie schon halbe Nächte beobachtet«, fuhr er zum großen Erstaunen des Mädchens fort. »Wie Sie hier arbeiteten, wie Sie stundenlang schrieben, ohne aufzusehen.«
Jetzt verstand sie. Hilde Gordon und sie hatten ungefähr die gleiche Figur, und dieser Mann, der ihre ehemalige Kollegin Hilde wahrscheinlich noch nie aus der Nähe gesehen hatte, verwechselte sie mit ihr.
»Weshalb wollten Sie so plötzlich weglaufen?« fragte er dann. Sie gab ihm keine Antwort, sondern kam rasch auf das vorige Thema zurück.
»Was soll ich Ihnen denn erzählen?« fragte sie. »Bestimmt wissen Sie genausoviel wie ich.«
»Nur Bruchstücke«, antwortete er eifrig. »Was Harding wirklich
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