011 - Der grüne Brand
Ich mache diese Sache, weil sie mir eine Chance gibt, noch einmal von vorne anzufangen - ein neues Leben zu beginnen, wie man so schön sagt.«
»Ich verstehe Sie sehr gut«, entgegnete Beale ernst.
»Vielleicht tue ich Ihnen alles andere als einen Gefallen.«
»Das muß ich riskieren«
»Also, dann auf Ihr eigenes Risiko!«
Über Mr. Mints scharfe Züge huschte ein leises Lächeln.
Als Beale zur Haustür hinausging, sah er sich einem Mann gegenüber, der die vielen Namensschilder neben den Klingelknöpfen studierte.
»Suchen Sie jemand?« fragte Beale.
Der Fremde wandte sich ihm zu.
»Sehr liebenswürdig«, sagte er. »Wohnt hier ein Dr. Harding?«
»Der wohnt hier, ist aber augenblicklich nicht zu Hause. Ich bin übrigens ein Freund von ihm. Kann ich ihm etwas ausrichten?«
Der Mann zuckte zusammen und sah ihn argwöhnisch an.
»Es ist eine Angelegenheit von größter Tragweite, die mich zu ihm führt. . .«, entgegnete er zögernd.
»Hat sie mit dem grünen Brand zu tun?« fragte Beale.
»Das kann ich nicht sagen«, erwiderte der Mann schnell. »Den Brief, den ich habe, muß ich ihm sowieso persönlich übergeben. Es ist ein Einführungsschreiben.«
»Ach so, weiter nichts«, sagte Beale enttäuscht. Er fühlte, daß der Mann die Wahrheit sprach.
»Weiter nichts - außer meiner Botschaft natürlich, die ich mündlich übermitteln muß. Ich heiße Star. Vielleicht haben Sie den Doktor schon von mir reden hören. Wir korrespondieren schon längere Zeit miteinander.«
»Natürlich erinnere ich mich daran«, log Beale.
»Daß die Botschaft nur für Dr. Harding bestimmt ist, werden Sie ja verstehen. Übrigens besteht sie nur aus einem Wort, das nur für den Doktor einen Sinn hat.«
Beale nickte verdrießlich und ließ den Besucher stehen.
16
Margaret Cresswell kam wieder zu sich, als sie die Treppe zu ihrem Zimmer hinaufgetragen wurde. Der Mann, der sie so erschreckt hatte, legte sie auf ihr Bett, und sie fühlte sich schon wieder kräftig genug, um sich sofort aufzurichten.
»Mir fehlt nichts - lassen Sie mich allein . . .« sagte sie atemlos.
Der Mann grinste hinter seiner Gesichtsmaske, ging hinaus und schlug die Tür zu.
Sie lief hinüber ins Badezimmer, wusch ihr Gesicht mit kaltem Wasser und ließ sich dann auf einen Stuhl fallen, um ihre Lage zu überdenken. Es war ihr inzwischen klargeworden, daß hinter Hardings Verhalten ihr gegenüber tatsächlich eine tiefere Bedeutung lag. Daß er so darauf versessen war, mit ihr eine Scheinehe einzugehen, mußte einen äußerst wichtigen Grund haben.
Dann konzentrierten sich ihre Gedanken auf den Gegenspieler Hardings, auf Mr. Beale. Sie fühlte, daß ihr dieser Mann in der kurzen Zeit, die sie ihn jetzt kannte, schon viel nähergekommen war als je ein anderer Mensch in ihrem Leben. Der Gedanke an ihn gab ihr ein merkwürdiges Gefühl von Schutz und Geborgenheit, ein Gefühl, das sie selbst in dieser unglücklichen Lage, in der sie jetzt war, nicht verzweifeln ließ.
Schließlich raffte sie sich auf und begann aus Langeweile in der Kommode zu kramen, die neben dem Bett stand. In einer Schublade fand sie zusammengeknüllte Frauenkleider - darunter lagen einige mit losen Blättern gefüllte Schreibmappen. Sie nahm ein Blatt aus einer Mappe und las: Aisiger Hotel, Fournos, Besitzer Miguel Proconnene, Index, 2.
Vor Erstaunen blieb ihr der Mund offenstehen. Schnell überflog sie die anderen Blätter - sie waren alle so angelegt, wie Beale es ihr gezeigt hatte. Es war eine Arbeit, wie sie selbst sie gemacht hatte! Eine Liste der Hotels, der Besitzer und der Verkehrsmöglichkeiten - es fehlten nur die Hinweise auf Behörden und Polizei. Eine Mappe war mit ›Kanada‹ betitelt, eine andere mit ›Australien‹, und so fort. Die Schrift, in der die Listen angelegt waren, kam ihr bekannt vor - und plötzlich ging ihr ein Licht auf: Es war die Schrift Hilde Gordons!
Sie durchsuchte auch die anderen Schubladen. Sie waren angefüllt mit all den kleinen Gegenständen, wie sie ein junges Mädchen braucht.
Eine kleine Stahlkassette interessierte sie. Sie drückte auf einen Knopf, der seitlich angebracht war, und der Deckel sprang auf. Außer einem kleinen braunen Kuvert war sie leer.
Vorsichtig nahm sie das Kuvert in die Hand. Es war nicht zugeklebt; sie öffnete es und zog - einen Pfandschein heraus.
Fast hätte sie gelacht, aber dann untersuchte sie neugierig den Schein. Er verkündete die Tatsache, daß die Firma Bergson & Co., Commercial Road, London,
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