011 - Der grüne Brand
auch gestellt, aber er hat sie mir leider nicht beantwortet. Er teilte mir nur noch mit, daß höchstwahrscheinlich ein Wächter um die Ecke gebracht werden müsse. Ich sagte ihm daraufhin, daß ich so etwas unter keinen Umständen mitmachen würde. Er wurde zornig und beschimpfte mich wegen meiner ›sentimentalen‹ Einstellung. Ein Wort gab das andere. Er war wie von Sinnen, und als ich ihm schließlich erklärte, die ganze Sache hinge mir zum Halse heraus und ich wolle aussteigen, bedrohte er mich mit seiner Pistole. Ich wußte selbst nicht mehr, was ich tat, und schrie ihm die ganzen Zweifel, die schon seit Monaten in mir aufgestiegen waren, ins Gesicht. Schließlich bin ich Engländer und kann mein Land nicht einfach einem Schicksal preisgeben, wie es Harding ihm zugedacht hat. - Als der Streit bei diesem Punkt anlangte, erkannte ich, daß ich zu weit gegangen war. Harding hob die Pistole, und ich sah es ihm an, daß er im nächsten Augenblick schießen würde. Ich sprang zur Seite, riß meine eigene Waffe aus der Tasche, und wir drückten fast gleichzeitig ab. Leider habe ich ihn nicht getroffen, aber er ... Sie sehen ja!« Milsom zeigte auf seine Hand. »Es gelang mir, zu entkommen - und jetzt bin ich hier.«
»Harding ist also auf jeden Fall noch in London«, meinte Beale nach einer Pause. »Können Sie uns sagen, um welche Zeit der Einbruch stattfinden sollte?«
»Gegen elf«, entgegnete Milsom. »Also in etwa einer Stunde.«
»Ich verstehe das Ganze nicht«, sagte McNorton. »Man muß ja fast annehmen, daß der Code bei irgend jemand ist, der sich weigert, ihn herauszugeben!«
Margaret hatte die Tür halb geöffnet und dem Gespräch zugehört. Jetzt schloß sie sie vorsichtig - ein Gedanke kam ihr, der sie zusammenfahren ließ. Hatte Milsom nicht eine kleine Kassette erwähnt, die der Doktor zu sich gesteckt hatte? Ihre Theorie war vielleicht unwahrscheinlich, vielleicht deutete sich hier aber auch eine Möglichkeit an ...
Schnell lief sie in ihr Zimmer zurück und rief das Mädchen, das Mr. Kitson für ihre persönliche Bedienung eingestellt hatte. Das Mädchen hatte gerade im Schlafzimmer aufgeräumt und kam mit einem Bündel schmutziger Kleider herein, als sie Miss Cresswell rufen hörte. Es waren die Kleider, die Margaret bei ihrem Abenteuer getragen hatte.
»Haben Sie unter meinen Sachen ein Stück Papier gefunden? Ich suche - hm - einen Pfandschein . . .«
»O ja, ich wollte Sie gerade deswegen fragen. Der Schein steckte in Ihrem Strumpf. Hier ist er, Miss.«
Margaret dankte ihr etwas verlegen und gab ihr für den Abend frei. Sie wartete, bis das Mädchen das Zimmer verlassen hatte und wollte eben zu den Männern zurücklaufen, die sich nebenan noch immer berieten, als sie plötzlich wie gebannt stehenblieb -die Tür, die sich eben hinter dem Mädchen geschlossen hatte, öffnete sich langsam wieder. Vor ihr stand Dr. Harding.
Mit einer schnellen Bewegung drückte er die Tür hinter sich ins Schloß und kam auf sie zu. Er hielt eine Pistole auf sie gerichtet, und sie sah ihm an, daß er keine Sekunde zögern würde, die Waffe zu gebrauchen. »Keine Bewegung«, flüsterte er, »und keinen Laut! Geben Sie den Pfandschein her!«
Sie gehorchte schweigend, und während sie ihm den Schein gab, blickte sie an ihm vorbei auf das Bücherregal an der Wand. Ihre Augen suchten nach einem Band, der den Namen Stanford Beales trug.
30
»Gut«, sagte Harding und steckte den Schein in die Tasche. »Er nützt mir zwar jetzt nichts mehr, denn bis morgen früh kann ich nicht warten . . . Sie haben ihn noch niemand gezeigt, wie?«
»Nein, ich wollte gerade . . .«, flüsterte sie mit schreckgeweiteten Augen.
»Glück gehabt!« Er lachte leise. »Wenn Beale den Pfandschein zu Gesicht bekommen hätte, wäre mein ganzer Plan mißglückt. Und jetzt beeilen Sie sich, aus bestimmten Gründen kann ich es mir nicht leisten, Sie hierzulassen.«
Sie hatte sich inzwischen wieder gefaßt. Es war sogar eine merkwürdige Ruhe über sie gekommen.
»Kann ich mir eine Reisetasche mitnehmen?«
»Natürlich, aber beeilen Sie sich!« Sie warf wahllos einige Sachen in eine große Tasche. »Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mir ein Buch mitnehme?« erkundigte sie sich plötzlich ironisch. »Es wäre mir lieb, wenn ich mich von Ihrer Gesellschaft etwas ablenken könnte.«
»Sie haben Humor«, knurrte Harding. »Aber von mir aus, nehmen Sie sich etwas zum Lesen mit.«
Sie zog ein Buch aus dem Regal und legte es in die
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