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0110 - Die Geistergrotte

0110 - Die Geistergrotte

Titel: 0110 - Die Geistergrotte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Wolf Sommer
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schon gewohnten Ausdruck von Verstörtheit im Gesicht, der Professor hingegen sichtlich neugierig.
    Die beiden ließen sich auch geduldig auf ihre Zimmer bringen. Nicole ließ sich sofort, ohne ihre Kleider abzulegen, auf die Couch fallen. Raffael, der sie gebracht hatte, war taktvoll genug, sich unverzüglich zurückzuziehen.
    Bill hatte den Professor zu seinem Arbeitszimmer begleitet. Zamorras reges Interesse an allen Dingen, die er sah und hörte, erreichte eine Art Höhepunkt. Die zahlreichen Bücher, die das Arbeitszimmer zu einem großen Teil füllten, schienen ihn regelrecht zu faszinieren.
    Ein paar Augenblicke lang hatte Bill Fleming die Hoffnung, daß Zamorra nun langsam anfangen würde, wieder »normal« zu werden. Dem war zwar nicht so, aber der Professor zeigte doch zum ersten Mal wieder etwas Initiative, die von ihm selbst ausging.
    Er murmelte etwas in seinem unverständlichen Kauderwelsch, tippte dann mit dem Zeigefinger gegen seine Brust und sagte laut und deutlich: »Zamorra!«
    Anschließend deutete er auf Bill und sah den Kulturhistoriker fragend an.
    Fleming begriff sofort. Anscheinend wollte Zamorra einen Versuch starten, zu einer Verständigung zu kommen.
    »Bill«, sagte er, »Bill Fleming.«
    »Bill«, wiederholte der Professor und lächelte. Er griff nach einem dickleibigen Wälzer, der auf der Lederplatte seines Schreibtischs lag, und hielt ihn hoch.
    »Buch«, sagte Bill.
    Zamorra griff nach weiteren Gegenständen - einem Kugelschreiber, einem Taschenrechner, einer Zeitung, deutete auf den Schreibtisch, die Wände, die Zimmertür. Fleming nannte ihm jeweils die entsprechende Bezeichnung des Objekts in französischer Sprache, die er perfekt beherrschte.
    Erleichterung überkam ihn. Er hatte plötzlich eine Vermutung, was mit Zamorra und Nicole passiert sein konnte. Möglich, daß sie aus irgendeinem unbekannten Grund ihr Gedächtnis verloren hatten und sich allein deshalb so seltsam verhielten. Nun aber hatte der Professor begonnen, die Lücken in seinem Kopf zu schließen.
    Bill unterstützte ihn dabei so gut er konnte. Bald kannte Zamorra die Bezeichnungen von nahezu allen Objekten, die das Arbeitszimmer zu bieten hatte. Seine Wißbegier war damit jedoch noch lange nicht befriedigt. Er veranlaßte Bill, mit ihm das Zimmer zu verlassen und einen Schloßrundgang vorzunehmen. Bald kannte er auch so ausgefallene Begriffe wie Holzkohlenanzünder, Plumeaubezug und Lokusbrille.
    Er lernte erstaunlich schnell. Bill konnte deshalb schon in Kürze darangehen, ihm auch abstrakte Begriffe wie Gehen, Essen, Sprechen beizubringen. Und schließlich kam der Zeitpunkt, in dem er auf das große, achtzehnbändige Konversationslexikon zurückgreifen mußte, um den Informationsdurst seines gelehrigen Schülers zu stillen.
    Nach dem Abendessen, das Raffael mit gewohnter Meisterschaft zubereitet hatte, war der Professor bereits in der Lage, zu erklären, daß er selten etwas so Gutes gefressen hatte.
    ***
    Während des Ritts hatte Nicole die seitlichen Vorhänge ihrer Sänfte meistens geschlossen gehalten, um von dem hochgewirbelten Staub, der glühenden Sonne und später der abendlichen Kühle geschützt zu sein. Und die ganze Zeit über war sie sich dabei wie eine Verräterin vorgekommen, wenn sie daran dachte, welche gräßlichen Strapazen und Qualen Zamorra über sich ergehen lassen mußte. Verstandesmäßig hatte sie sehr wohl gewußt, daß sie nichts zur Verbesserung seiner Situation tun konnte. Gefühlsmäßig fühlte sie sich aber trotzdem schuldig.
    Für sie selbst war der Ritt auch nicht unbedingt ein Zuckerschlecken gewesen. Das unentwegte Schaukeln der beiden Pferde, die die Sänfte trugen, hatte sie schwer durchgeschüttelt. Sie war deshalb rechtschaffen froh, als die Reise durch das unbekannte Land endlich zu Ende ging.
    Die Pferde blieben stehen, und jemand zog den Vorhang auf, nicht ohne sie vorher höflich anzurufen. Zwei Harnischträger standen vor der Sänfte und streckten hilfreich die Arme aus, um ihr herauszuhelfen.
    Nicole schlug die Hilfe mit bösem Gesichtsausdruck aus und kletterte aus eigener Kraft nach draußen.
    Dunkel und wuchtig wuchsen in etwa fünfzig Metern Entfernung gewaltige Mauern vor ihr auf, die von brennenden Fackeln angestrahlt wurden. Soweit sie es bei den herrschenden Lichtverhältnissen erkennen konnte, gehörten diese Mauern zu einer steinernen Trutzburg, die sich wie eine riesige Kröte an die Flanke eines Hügels drückte. Ein sehr breiter Graben schien die Burg

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