0113 - Armaras Rückkehr
zu leben hatte, und die Angst vor einem so schrecklichen Ende wurde ihm unerträglich.
Er sah nur eine einzige Möglichkeit, Armaras Todeshieb zu entgehen: Er mußte sich selbst töten. Es war immer noch besser, das Leben durch die eigene Hand zu verlieren als durch Armaras Krallenpranke.
Der Entschluß reifte in Sidi.
Wenn er schon sterben mußte, dann wollte er dieses Ende nicht sinnlos hinauszögern. Sein Vater hatte immer versucht, einen Mann aus ihm zu machen.
Einen unerschrockenen Kämpfer, den nichts einschüchtern konnte. Jetzt wollte Sidi seinem toten Vater beweisen, daß er zu solch einem Mann herangereift war, daß er imstande war, hart zu sich selbst zu sein und dem Unvermeidlichen ins Auge zu sehen.
»Ich folge dir, mein Vater«, sagte Sidi und richtete sich auf.
»Allah wird mich verstehen.«
Trotz der Schmerzen, die ihn peinigten, wenn er sich bewegte, stand er auf. Er trug alte Kleider von Raghubir.
Sein Schwert, auf das er so stolz war, lehnte in einer Ecke des Zimmers. Er holte es sich. Dann schleppte er sich zur Tür und öffnete sie lautlos.
Er sah niemanden und konnte niemanden hören. Mit nackten Füßen stahl er sich aus dem Raum.
Es tat ihm leid, daß er mit dem, was er vorhatte, seinen Verwandten noch mehr Kummer bereiten würde, doch er konnte nicht anders. Er mußte es tun. Er mußte sich vor Armara in Sicherheit bringen, und es ging nur auf diese eine Art.
Ohne daß es jemand bemerkte, verließ er die Herberge. Draußen vernahm er das Brüllen von Kamelen. Er schlich an der weißgetünchten Mauer entlang, biß die Zähne zusammen, als die Schmerzen zunahmen, und er kämpfte tapfer gegen die Ohnmacht an, die ihm einen Strich durch die Rechnung machen wollte.
Da, wo er seinem Leben ein Ende bereiten wollte, trug er kindskopfgroße Steine zusammen. Er schichtete sie vor der Mauer auf und klemmte das Schwert, das er erst seit einem Jahr tragen durfte, dazwischen fest. Blitzend reflektierte die blanke Klinge das Sonnenlicht. Die Spitze ragte der Brust des verzweifelten Jungen entgegen.
»Es muß sein!« sagte er sich. »Ich habe keine andere Wahl! Wenn Armara nach Arak kommt, darf ich nicht mehr leben!«
Er schloß die Augen.
Aber noch zögerte er, sich in das Schwert seiner Ahnen zu stürzen.
»Vater!« flüsterte er. »Vater, gib mir die Kraft, es zu tun!«
Plötzlich ging ein Ruck durch seinen Körper, und er fiel nach vorn…
***
Sie hatten die Weiterreise verschoben und warteten auf John Sinclair. Das Telegramm war abgeschickt. Es war zwar keine Antwort von John in Arak eingetroffen, doch Jane Collins und Suko wußten dennoch, daß der Geisterjäger innerhalb kürzester Zeit hier auftauchen würde. Ein Dämon in der Wüste – das konnte John Sinclair nicht mit einem Schulterzucken abtun.
Jane und Suko trieben sich auf dem Markt herum.
Die meisten Kamele kauerten im Wüstensand und reckten den langen Hals in den blauen Himmel. Suko blieb vor einem solchen Tier stehen. Dem Kamel steckte ein Bündel Steppengras quer im Maul. Die gespaltene Oberlippe mummelte sich um einen holzigen Halm, der langsam zwischen den gelben Zähnen verschwand.
»Nein, Jane. Also nein, wirklich. Da laufe ich lieber zu Fuß. Wie viele Kilometer sind es bis zum Hoggar?«
»Ungefähr 60.«
»Kleinigkeit. Die hüpfe ich auf einem Bein.«
»Angeber.«
»Okay. Dann wechsle ich eben nach 30 Kilometern vom linken auf das rechte Bein.«
Sie gingen weiter. Suko beobachtete, wie ein Kamel dicke Äste aus einer Akazie rupfte. Das Tier knickte zwischen seinen lederzähen Lefzen die Dornen ab.
»Von dem möchte ich auch nicht unbedingt gebissen werden«, meinte der Chinese. Sie beendeten ihren Rundgang und kehrten zur Herberge zurück.
Plötzlich irritierte Suko etwas. Ein Blitzen. Ein Funkeln. Sonnenlicht, das grell von der Klinge eines Schwerts reflektiert wurde! Die Klinge ragte schräg nach oben, und davor stand Sidi.
Suko wußte sofort, was das zu bedeuten hatte.
»Ich werd’ verrückt!« stieß der Chinese hervor.
»Was ist los?« fragte Jane Collins erstaunt.
»Sidi! Er will sich in sein Schwert stürzen!«
Suko war schon unterwegs. Trotz des beachtlichen Gewichts, das er auf die Waage brachte, rannte er schneller als so mancher Mann, der nur halb so schwer war wie er. Suko hatte sehr viel für Kinder übrig. Gut, Sidi war kein richtiges Kind mehr. Er war aber auch noch kein richtiger Mann. Er steckte irgendwo dazwischen, und Suko mochte ihn. Deshalb setzte er alles daran, um den Jungen
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