0113 - Armaras Rückkehr
schrie: »Ich lasse nicht los! Wohin du auch rennst, ich bleibe bei dir!«
Er hatte keine Ahnung, wie weit er sich von der verfluchten Oase schon entfernt hatte. War er schon weit genug, oder war er hier vor Armara noch nicht sicher?
Er dachte an seinen Vater, an sein Vorbild, und er wußte, daß Mahmet nicht mehr lebte. Er wußte es einfach. Mahmet war genauso tot wie Kabu und all die anderen. Nur er, Sidi, er lebte noch.
Aber wie lange noch?
Das durch die Wüste stürmende Kamel war auf dem besten Wege, ihn umzubringen, aber er wollte lieber an dieser Leine hängend sterben, als durch die schreckliche Krallenhand des Dämons sein Leben verlieren.
Immer neue Schläge und Stöße bekam er.
Die Schmerzen nahmen zu.
Bald waren sie kaum noch zu ertragen.
Die Kleider hingen in Fetzen von seinem zerschundenen, mit Wunden übersäten Körper. Sein Blut vermischte sich mit Staub und Sand. Entsetzt bemerkte er, daß seine Kraft allmählich nachließ.
Die Leine rutschte ihm ein Stück durch die Hände.
Erschrocken packte er sofort wieder fest zu.
»Ich gebe nicht auf!« brüllte Sidi. Er fürchtete, das Bewußtsein zu verlieren. Deshalb schrie er die Befehle, die ihm sein Vater beigebracht hatte, damit das Kamel anhielt.
Doch der Bulle jagte weiter durch die Wüste, wie von Furien gehetzt. Aber auch ihn verließ allmählich die Kraft, und endlich schien er wieder zu hören, was Sidi schrie, aber es dauerte noch sehr lange, bis das Tier stehenblieb.
»Allah sei Dank«, stöhnte Sidi.
Sein Körper schien zu glühen, doch er war froh, daß keine neuen Verletzungen mehr hinzukamen.
Verbissen hielt er die Leine weiter in seinen Händen. Das Tier stand mit zitternden Flanken da. Es war so erschöpft, daß es sich kaum noch auf den Beinen halten konnte.
Es knickte vorne ein und ließ sich in den Sand fallen. Sidi rollte sich in seinen Schatten, und dann wurde er ohnmächtig.
Kälte weckte ihn. Er klapperte mit den Zähnen, obwohl hohes Fieber seine Stirn erhitzte.
Er erschrak.
Wo ist das Kamel? dachte er. Trotz der heftigen Schmerzen setzte er sich auf. Erst jetzt bemerkte er, daß er die Leine immer noch in seinen Händen hielt, und das Tier lag neben ihm und sah ihn beunruhigt an.
Dunkelheit umgab ihn.
Der Himmel war wolkenlos. Sterne funkelten. Sidi sah das vertraute Sternbild der Kamelstute, von dem er wußte, daß man es in Europa den »Großen Bären« nannte.
Im Südwesten lagerte der Skorpion, und genau dort, wo Arak lag, waren vier funkelnde Sterne zu sehen: das Sternbild des Pegasus, seit 800 Jahren das Leitgestirn der Tuareg-Karawanen.
Sidi biß die Zähne zusammen.
Er stand auf, konnte sich kaum auf den Beinen halten, befahl dem Kamelbullen mit krächzender Stimme, sich zu erheben.
Das Tier wollte nicht. Erst als Sidi es anbrüllte, bequemte sich das Kamel aufzustehen. Sidi stieg auf und trieb das Tier in Richtung Arak.
Er war der einzige der Karawane, der überlebt hatte, doch nicht deshalb ritt er nach Arak. Es gab einen anderen Grund: Er hatte einen Onkel und eine Tante da, und er fühlte sich so elend, daß er jemanden brauchte, der sich um ihn kümmerte.
Auf dem Weg nach Arak plagten ihn Schreckensvisionen. Armara erschien immer wieder vor seinem geistigen Auge und wiederholte seine grausigen Bluttaten.
Sidi hatte seinen Vater nicht sterben sehen, aber er konnte sich vorstellen, wie Mahmet gestorben war: mit dem Schwert seiner Ahnen in der Faust.
Endlos kam Sidi der Ritt vor.
Das Fieber stieg. Ein Schüttelfrost nach dem anderen drohte ihn vom Kamel zu werfen. Er begann zu fantasieren, konnte die Wachträume von der Wirklichkeit nicht mehr unterscheiden.
Sah er wirklich weiße Häuser, die sich flach auf den Wüstenboden drückten? Oder waren sie eine Fieberhalluzination?
War das Arak?
Oder war es eine Traumoase, die es nirgendwo auf der Welt wirklich gab? Sidi ritt unter einer alten Akazie durch. Ein Zweig klatschte ihm ins Gesicht, ein Dorn ritzte seine Haut, doch es machte ihm nichts aus. Er begrüßte diesen Schmerz, denn er verriet ihm, daß es die Akazie wirklich gab, und somit auch die wenigen Häuser.
Er war in Arak!
Das Kamel trug ihn bis zu einer Herberge.
Ein Mann trat ihm entgegen. Eine große, asketische Erscheinung.
»Onkel Raghubir«, sagte Sidi, und plötzlich konnte er sich nicht mehr auf dem Kamel halten.
Er fiel.
Raghubir sprang hinzu. Er fing den Jungen auf. »Selima! Selima!« schrie er nach seiner Frau.
Selima, ein dickliches Weib, trat aus dem
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