0114 - Mädchen, Gangster, blaue Küste
entrissen. Er deckte den Engländer damit.
Ich jagte aus der Kanone des Kapitäns zwei Schüsse in die Luft. Die Wirkung war frappierend. Die erhobenen Arme sanken. Alle Köpfe wandten sich uns zu.
Ich stieß den Kapitän in die Rippen.
»Sage ihnen, dass sie auf hören sollen und sich am besten nicht vom Fleck rühren.«
Er brabbelte ein paar Sätze auf Französisch. Ich stieß ihn noch einmal an.
»Lauter!«, befahl ich. Es war fabelhaft, wie prompt er gehorchte.
Phil kam zu mir. Ich gab ihm die Pistole.
»Mary Angers ist unten«, sagte ich. »Du wirst nicht ausgewiesen.«
Ich sah zum Quai hinüber. Eigentlich erwartete ich dort lange Reihen von französischen Polizisten zu sehen, aber alles, was dort stand, war ein buntes Gemisch von Fischern der benachbarten Boote. Gentlemen in Abendkleidung und Damen in großer Garderobe.
»Wo kommen die Leute her?«, fragte ich verwundert.
Phil zuckte die Achseln. »Wahrscheinlich von irgendwelchen Jachten, die hier liegen. Sie haben das Schauspiel genossen, das wir ihnen boten. Siehst du nicht, dass sie über das Ende enttäuscht sind? Besonders die Damen.«
»Auf die Idee, die Polizei zu rufen, ist anscheinend niemand gekommen«, brummte ich. »Sie hätten zugesehen, wenn wir hier in Stücke gehackt worden wären. Sieh zu, dass du die Gendarmerie heranholst. Ich bringe Mary Angers herauf. Sie braucht Luft.«
Ich musste das Mädchen an Deck tragen. Phil trieb unterdessen die Matrosen zusammen. Mit der Pistole in der Hand war es eine Kleinigkeit. Der Engländer war an Land gegangen, um nach der Polizei zu telefonieren.
Ich dachte, dass es besser sei, wenn ich Mary zu einem Arzt brächte. Als ich den Quai betrat, sah ich Tony Olden einträchtig neben seinem nun ebenfalls sehr nassen Gegner sitzen. Der Matrose hustete und spuckte Wasser. Tony klopfte ihm freundschaftlich den Rücken.
»Stell dir vor, Cotton«, sagte er, »der Junge konnte nicht schwimmen. Ich musste ihn herausziehen, als wir zusammen über Bord gingen. Und dann streckte er noch alle viere von sich; und ich musste an ihm herumkneten, bis er wieder zu atmen anfing. Seid ihr ohne mich fertig geworden?«
»Alles okay.«
Der Matrose hustete. Tony hämmerte auf seinem Rücken herum und sagte väterlich: »Ich werde dir einen Drink besorgen. Dann fühlst du dich gleich besser.«
Ich packte Mary Angers in den MG.
»Doktor?«, fragte ich einen der Herumstehenden. Er quetschte sich gleich in den Wagen und zeigte mir den Weg um ein paar Ecken herum. Der Arzt war noch auf und nahm sich des Mädchens an. Ich rauchte unterdessen ein paar Zigaretten im Warteraum.
Schließlich kam der Doktor und kramte sein Schulenglisch aus. Er machte mir klar, dass Mary nicht ernstlich verletzt sei, aber dass ihre Nerven zurzeit nicht viel taugten, und dass ich sie besser bei ihm ließe. Er habe ihr ein Schlafmittel injiziert.
»Autounfall?«, fragte er.
»Nein. Warum?«
»Verletzungen«, sagte er. »Hier und hier!« Er zeigte auf Stellen in seinem Gesicht.
Ich nickte. Ich wusste, woher diese Verletzungen rührten.
»Doc, die Polizei wird sich um das Mädchen kümmern.«
***
Ich fuhr zum Hafen zurück, und ich kam gerade noch zur großen Verladung zurecht. Zwei Dutzend Flics verfrachteten alles auf einen Lastwagen, einerlei ob es mit einem Smoking oder einer Matrosenkluft bekleidet war. Ein paar Leute mussten getragen werden.
Der Laderaum des Lasters wurde voll wie eine Büchse mit Ölsardinen.
Leute, die sich vor Minuten noch heftig bemüht hatten, einander die Zähne einzuschlagen, standen jetzt so nahe wie Liebespaare. Ich sah Tony Olden, der sich nach wie vor rührend um seinen Halbetrunkenen bemühte. Dann fuhr der Wagen an, und seine Ladung musste sich gegenseitig stützten.
Ich gondelte im MG hinterher, bis ich mich vergewissert hatte, dass unsere Leute und die Matrosen der Cherie Charlotte zum Polizeipräsidium von Cannes gefahren wurden. Dort drehte ich ab und zwitscherte zum Negresco nach Nizza.
Bodin saß brav in der Hotelhalle und wartete auf weitere Anrufe. Neben ihm hockte der Junge, der uns die Fährte geliefert hatte und aß, ungerührt, sein wahrscheinlich viertes Eis.
Bodin sprang auf, als er mich sah.
»Ein paar Ihrer Freunde haben noch angerufen, und ich habe sie nach Cannes geschickt«, sprudelte er hervor. »Ich…«
Sein Blick fiel auf mein Gesicht und meinen Smoking. Dieses Mal hatte ich mich nicht ausreichend in acht nehmen können. Er unterbrach sich selbst.
»Schon erledigt?«,
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