0114 - Mädchen, Gangster, blaue Küste
wenn Sie es ohne Schaden für die Gesundheit tun können, so wecken Sie sie. Es hängt von ihr ab, dass Monsieur Polizeipräsident endlich das unternimmt, was er schon längst hätte unternehmen müssen.«
»Ich werde dafür sorgen, dass dieser Fettwanst als Gendarm in ein Pyrenäendorf versetzt wird.«
»Kommen Sie mit«, sagte der Doktor, »aber lassen Sie wenigstens die Flics draußen.«
Mary Angers lag in einem Behandlungszimmer des Arztes. Der Doktor hatte ihr den Schmutz vom Gesicht gewaschen. Jetzt sah man, dass sie geschlagen worden war.
Der Arzt rüttelte sie an den Schultern, hielt ihr dann eine Ampulle mit einem Riechmittel unter die Nase. Das Mädchen bewegte sich und öffnete die Augen.
Ich hatte mich so gestellt, dass sie mich sehen musste. Ich lächelte, als ihr Blick auf mich fiel.
»Mary«, sagte ich. »Hier sind ein paar Gentlemen, denen Sie einige Auskünfte geben müssen. Sind Sie freiwillig auf das Schiff gegangen?«
»Nein«, antwortete sie. »Ragnier und zwei Männer haben mich hingebracht.«
»Mit Gewalt?«
»Ja, sie schlugen mich, bis ich eine Quittung schrieb, dass ich gekündigt hätte und keine Ansprüche mehr habe. Dann transportierten sie mich im Auto nach Cannes und schafften mich an Bord des Schiffes. Der Kapitän nahm mich in Empfang.«
»Beteiligten sich noch andere Leute daran?«
»Nein, nur der Kapitän fasste mich an, aber ein paar seiner Matrosen sahen es, sie kümmerten sich jedoch nicht darum.«
»Wussten Sie, was mit Ihnen geschehen sollte?«
»Ragnier sagte es mir. Ich sollte in Nordafrika…«
Das Schlafmittel gewann wieder die Oberhand über ihre Sinne. Ihre Augen schlossen sich.
»Ich möchte Sie nicht noch einmal aufwecken«, sagte der Arzt.
»Ich hoffe, dem Polizeichef genügt, was sie gesagt hat, und er entschließt sich endlich, Ragnier zu verhaften«, sagte ich.
Bodin wiederholte den Satz auf Französisch.
Der Polizeichef kaute an seinem Schnurrbart. Plötzlich bekam er einen Anfall von Energie. Er richtete sich auf, blitzte mit den Augen und gab scharfe Kommandos.
Fünf Minuten waren wir nach Antibes unterwegs. Ich wurde nicht mehr von den Flics bewacht.
Antibes schlief, als wir auf dem kleinen Platz aus den Wagen sprangen. Der Pere Lamese zeigte uns ein verhängtes Schaufenster und eine mit Rollläden gesicherte Tür. Der Polizeichef rüttelte höchst eigenhändig an der Klinke, die nicht nachgab. Er befahl seinen Flics kurzerhand, die Tür mit Gewalt zu sprengen. Innerhalb von zwei Minuten hatten die Polizisten die Tür geknackt, traten zur Seite und warteten respektvoll, dass ihr Chef vorginge.
»Taschenlampe!«, befahl er.
Er ging vor. Bodin und ich folgten ihm.
Der Schein der Lampe glitt über die Trümmer der Schlacht, die Phil und ich vor ein paar Stunden veranstaltet 44 hatten. Offensichtlich schüchterte den Polizeichef dieses Zeichen eines Kampfes ein. Er zögerte. Ich nahm ihm die Taschenlampe wortlos aus der Hand, fand den Lichtschalter und knipste die Deckenbeleuchtung an.
»Ich denke, es gibt noch einige Privaträume«, sagte ich. »Wir müssen uns auch dort umsehen.«
Ich ging bis an das Ende des langen schlauchartigen Raumes, wo sich eine Tür befand, die in den Hausflur führte. Diese Tür war verschlossen. Ich drehte mich um und wollte den Polizeichef auffordern, auch diese Tür gewaltsam öffnen zu lassen. Dabei fiel mein Blick hinter die Theke. Ich sah die Schuhe eines Mannes. Die Spitzen zeigten nach oben zur Decke.
Ich ging zur Theke zurück. Ragnier lag hinter der Bar auf dem Fußboden zwischen Flaschenscherben. Er trug seinen normalen Anzug, aber der Mann war schrecklich zugerichtet. Man hatte ihn mit Messerstichen getötet.
***
Die Nacht begann in den Tag überzugehen. Im Pere Lamese arbeitete die Mordkommission. Der Junge war im Fond des Autos eingeschlafen. Ich war aus der Rolle des aktiv Beteiligten in die des gewöhnlichen Zeugen versetzt worden. Neben mir trat Colleg von einem Fuß auf den anderen und fror.
Bodin kam aus dem Pere Lamese.
»Es steht fest, dass er vor mehreren Stunden getötet wurde, längst bevor Sie sich auf die Cherie Charlotte stürzten. Die Leute, die hinter dieser Sache stehen, haben im Vorhinein beabsichtigt, ihn stumm zu machen. Seine Wohnung, die sich im ersten Stock befindet, wurde durchwühlt.«
»Haben die anderen Bewohner des Hauses nichts gehört?«
»Jedenfalls behaupten sie es, aber das beweist wenig. Die Leute geben der Polizei nicht gern Auskünfte. Sie befürchten, dass
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