0116 - König der Vampire
Zamorra. Zuweilen fragt der Unsterbliche mich um Rat.«
»Faszinierend«, erwiderte Zamorra.
Carmor schüttelte den Kopf. »Dein Sarkasmus ist hier fehl am Platze. Ich weiß selbst, daß er dann nach eigenem Gutdünken entscheidet, und oft unterscheiden seine Anweisungen sich von meinem Rat. Doch stört es mich nicht, weil mich dann niemand verantwortlich machen kann, dem Herrscher einen falschen Rat erteilt zu haben.«
»Du willst also heute abend tatsächlich zum Palast gehen und dich über den Offizier beschweren?« hakte Bill Fleming nach. Der blonde Historiker musterte die beiden Stadtbewohner.
Carmor lächelte ihm zu. »Selbstverständlich. Wenn Carmor der Mächtige etwas verspricht, hält er es auch ein. Und ihr werdet in meiner Begleitung mitkommen. Dann sind wir schon einmal im Palast.«
»Das bringt uns nicht viel weiter«, bemerkte Zamorra nüchtern. »Wir werden kaum eine Palastrevolte entfachen können. Der Herrscher dürfte seine Wächter überall haben. Was nützt es uns also, auf diesem Weg in den Palast zu gelangen?«
Carmor lächelte immer noch. Er klatschte in die Hände. Wenig später erschien einer der Diener. Carmor bedeutete ihm, er möge die Karte des Palastes bringen. Augenblicke später kehrte der Diener zurück und reichte seinem Herrn eine Rolle, deren Material eine Art Pergament zu sein schien. Eine goldene Schnur hielt die Rolle zusammen.
Carmor öffnete den Knoten und breitete das Pergament aus. Es knisterte und hatte das Bestreben, sich wieder zusammenzurollen, bis Carmor kurzentschlossen auf jede der vier Ecken einen Weinkrug stellte.
»Das hier«, verkündete er, »ist der Palast.«
Zamorra und Bill beugten sich über die Karte.
Vrid blieb auf seinem Platz, offenbar kannte er den Plan bereits; er äugte nur von seiner Liege aus herüber und verfolgte, was geschah.
Zamorra war geneigt, sich die Augen zu reiben. Denn was er sah, war kein gewöhnlicher Grundriß eines Hauses. Es war eine Art dreidimensionale Wiedergabe, die dem Willen des Betrachters zu gehorchen schien. Einer kleineren Seitenansicht nach mußte der Palast vier Etagen besitzen. Sie waren wohl auf eine Zamorra unbegreifliche Art und Weise im Grundriß ineinandergezeichnet und störten sich doch nicht. Im Gegenteil, sah er zunächst das Obergeschoß und konzentrierte sich nun darauf, zu sehen, was sich darunter befand, da verblaßten die feinen Linien und wichen denen des darunterliegenden Stockwerkes. So gelangte der Professor allmählich zu einem Gesamtüberblick über den gesamten Palast bis hin zu den Kellerräumen. Er versuchte einen imaginären Weg aus dem Keller bis auf das Dach nachzuvollziehen, und auf seltsame Art und Weise gelang es ihm, Etage für Etage, Treppe für Treppe von Schicht zu Schicht jeden Schritt zu konstruieren.
»Prägt euch alles genau ein«, mahnte Carmor, »so lange, bis ihr im Palast wie zu Hause seid.«
Zamorras Finger glitten tastend über das pergamentähnliche Material. Es fühlte sich völlig normal an. Dennoch mußte der Plan unter Verwendung von Magie hergestellt worden sein, anders war diese Art der dreidimensionalen Darstellung unmöglich. Hätte er das Amulett bei sich gehabt, hätte er die magischen Einflüsse sofort zu erspüren vermocht. Doch das Amulett war zerstört, lag geschmolzen als unkenntlicher Metallfladen auf dem Teppich in seinem Arbeitszimmer - und befand sich gleichzeitig in der Hand des Beherrschers dieser Welt!
Schließlich wich er zurück. Er hatte vor dem Plan gekniet und ihn sich eingeprägt. Jetzt war er sicher, ihn auswendig zu kennen und sich sogar bei völliger Dunkelheit zurechtzufinden.
Ein spezielles Gedächtnistraining half ihm dabei.
Auch Bill richtete sich auf. »Gut«, sagte er. Ein düsterer Glanz lag in seinen Augen. Er wußte inzwischen, worum es ging, daß Zamorra das Amulett, jene Zauberscheibe Camorans, in seine Hände bekommen mußte, um eine Rückkehr zu ebnen.
»Nicole wird in den Unterkünften der Sklaven untergebracht sein«, erklärte Carmor. »Die ersten Tage findet dort immer eine Schulung statt, denn Camoran mag nur Sklaven und Sklavinnen, die genau wissen, auf welches Senken der Augenlider oder Krümmen des Ringfingers sie welche Handlungen durchzuführen haben.«
»Schön und gut«, schmunzelte Zamorra. »Sie von dort zu befreien, dürfte keine Schwierigkeit bieten. Nur ist für mich immer noch das Problem ungelöst, wie wir dorthin kommen. Es mag wohl gehen, daß wir sofort nach dem Betreten des Palasthofes
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