0117 - Der Rattenkönig
Gänsehaut…
***
Peter Harding empfing mich im Bett liegend. Trace Jordan, der Hoteldirektor, hatte sich zurückgezogen, denn ich wollte mit dem Zeugen allein reden.
Ich stellte mich vor.
In Hardings Augen blitzte Interesse auf. »Sie sind von der Polizei, Sir?«
»Ja.«
»Was kann ich für Sie tun?«
»Ich hörte, daß Ihre Tochter entführt wurde. Stimmt das?«
»Ja, von einer Ratte!«
»Sie haben sich nicht getäuscht?«
Harding lief rot an. Anscheinend hatte ihn meine Frage aufgewühlt. »Nein, ich habe mich nicht getäuscht!« zischte er. »Sweety, meine Tochter, lag in den Armen einer menschengroßen Ratte. Das Tier ging aufrecht, es lief sogar wie ein Mensch. Ich schwöre Ihnen, daß ich nur dies und nichts anderes gesehen habe.«
Mein Lächeln machte ihn wieder ruhiger. »Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten, Mr. Harding. Natürlich glaube ich Ihnen. Schließlich wird man nicht jeden Tag mit einer menschengroßen Ratte konfrontiert.«
»Da haben Sie verdammt recht.«
»Haben Sie etwas unternommen?«
»Das konnte ich nicht. Erstens bekam ich das Fenster nicht auf, und zweitens hatte die Ratte schon einen viel zu großen Vorsprung. Sie und ihre Artgenossen befanden sich auf dem Rückzug. Da war nichts zu machen.«
»Verfolgen konnten Sie sie auch nicht?«
»Nein, ich wurde bewußtlos.«
»Sorry, ich vergaß.«
Zehn Minuten dauerte das Gespräch mit Peter Harding. Es war fruchtlos, denn der Mann wußte wirklich nichts. Er konnte sich auch nicht erklären, wieso die Ratten plötzlich aufgetaucht waren.
Und von einem Rocky Koch hatte er auch noch nie gehört.
»Dann entschuldigen Sie die Störung«, sagte ich zum Schluß, doch Harding hielt mich am Arm fest.
»Einen Augenblick noch, Mr. Sinclair.«
»Bitte.«
Ich hatte mich gedreht und schaute in seine flehenden Augen.
»Sir, meine Frau und ich hängen sehr an unserer Kleinen. Holen Sie Sweety zurück. Ich flehe Sie an!«
»Das verspreche ich Ihnen, Mr. Harding.«
»Danke. Ich selbst kann hier nicht weg, weil ich zu schwach bin. Vielleicht schaffen Sie es…«
»Bestimmt«, erwiderte ich optimistisch, obwohl ich auch noch nicht davon überzeugt war.
Ich ließ ihn allein. Trace Jordan hatte draußen gewartet. Neugierig schaute er mich an.
»Und? Haben Sie was in Erfahrung bringen können?«
»Leider nein.«
»Der Ärmste ist völlig durcheinander, was man auch verstehen kann. Was haben Sie jetzt vor, Sir?«
»Ich gehe auf mein Zimmer.«
»Entschuldigen Sie.« Der Direktor verschwand.
Mit dem Lift fuhr ich hoch. Ich bewohnte ein Zimmer, das nahe am Ende des Ganges lag.
Den Schlüssel hatte ich noch in der Tasche, schloß auf, betrat den kleinen Vorraum, durchquerte ihn, nachdem die Tür zu war und stand im Schlaf-Wohnraum.
Nichts hatte sich verändert.
Keine Ratte zu sehen.
Ich atmete auf.
Bevor ich mich mit Suko in Verbindung setzte, wollte ich erst noch duschen. Auf dem Absatz machte ich kehrt, betrat das Bad und blieb wie angewurzelt stehen.
Auf dem Wannenrand hockten sie.
Fünf Ratten!
***
Jane Collins versuchte zu lächeln, als sie in das Gesicht des Fremden schaute, doch es mißlang.
Es sah auch zum Fürchten aus.
Das schwarze Haar wuchs wie Fell fast bis auf die Schultern. Die Enden der Strähnen berührten den langen schmutzigen Mantel, der um die Knöchel des Mannes wehte. Das Gesicht war noch nicht alt, doch es zeigte einen menschenverachtenden Ausdruck, der Jane Collins abstieß. Klein kamen ihr die Augen vor, sie glänzten wie Perlmutt. Es war ein kalter Glanz. Die Detektivin konnte sich vorstellen, daß dieser Mann zu keinen Gefühlen fähig war – außer zu hassen.
In der rechten Hand trug er einen Stock, mit dessen Spitze er kleine Figuren in den Sand malte, ohne dabei hinzusehen. »Los, haut ab!«
Auch Shao hatte sich erschreckt. Fröstelnd zog sie die Schultern hoch, wo sich eine Gänsehaut gebildet hatte.
»Wo kommen Sie her?« fragte Jane, nachdem sie den ersten Schrecken überwunden hatte.
Der Mann öffnete den Mund. Jane sah, daß er spitze Zähne hatte.
»Wer gibt Ihnen das Recht zu dieser Frage, he?«
Jane war irritiert. Mit diesem aggressiven Ton hatte sie nun nicht gerechnet. »Moment mal, Mister. Dies hier ist ein öffentlicher Badestrand, soviel ich weiß. Sie können uns nicht verjagen. Wir wohnen in einem Hotel, in dessen Preisen auch die Strandgebühr enthalten ist. Demnach dürfen wir uns hier aufhalten.«
»Nein!«
Jane holte tief Luft. Sie hatte die Beklemmung vor diesem Mann
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