0125 - Der Leichenbrunnen
hatte das Gefühl gehabt, an einer elektrischen Leitung zu hängen. Grausam…«
Lionel Finch legte seinen Arm um ihre Schulter. »Kommen Sie, ich bringe Sie zurück.«
Der Wirt hatte inzwischen ein Glas mit Whisky geholt. Als Cora sich wieder setzte, stand es schon bereit.
Der Mann reichte ihr das Glas. »Trinken Sie.«
Cora trank. Der scharfe Alkohol rann durch ihre Kehle, sie mußte husten, schluckte jedoch weiter. Schließlich war das Glas leer, die Farbe kehrte zurück in ihr Gesicht. Sie stellte das Glas auf den Tisch.
»Ich hatte Sie gewarnt«, sagte die Wirtsfrau.
»Ja, ja.« Cora nickte. »Dann ist Mr. Sinclair verloren. Gegen drei Skelette hat er keine Chance.«
»Ja, so ist das«, meinte der ältere Mann im Tweedjackett und strich über sein Gesicht. »Wenn ich mich vielleicht vorstellen darf, Miß. Mein Name ist Fred McMillan.«
Cora sagte ebenfalls ihren Namen.
Der Schwarzhaarige hieß Gavin Nesbitt, und die Wirtsleute hörten auf den Namen Porter.
Fehlte nur noch der Anwalt. Er enthüllte seinen Namen zum Schluß. Als Cora ihn hörte, saß sie zuerst bewegungslos am Tisch, kalkweiß wurde ihr Gesicht.
»Was haben Sie?« fragte Lionel Finch.
»Heißen Sie wirklich so?«
»Natürlich. Warum sollte ich Sie anlügen?«
»Mein Gott, Lionel, sorry, Mr. Finch natürlich. Dann haben wir… nein, das ist ein schrecklicher Zufall.«
Lionel schaute sich verständnislos um. »Wovon reden Sie eigentlich, Miß Bendix?«
»Erinnern Sie sich denn nicht mehr?«
»Woran soll ich mich erinnern?«
»An Ihr erstes Leben!«
Jetzt war es heraus. Und die Worte hatten wie ein Schock gewirkt. Alle Anwesenden waren sprachlos. Auch der Anwalt. Er trat zurück, sein Gesicht nahm einen bestürzten Ausdruck an. Nach einer Weile fragte er: »Sie wissen genau, was Sie da eben gesagt haben, Miß Bendix?«
»Ja.«
»Ich soll demnach schon mal gelebt haben.«
»Das stimmt.«
»Gelesen, daß es so etwas gibt oder geben soll, das habe ich mal. Aber ich kann mir wirklich nicht vorstellen, daß es so etwas tatsächlich gibt.«
»Es stimmt aber.« Cora schaute jetzt alle an. »Überlegen Sie doch mal. Weshalb sind Sie hergekommen? Ausgerechnet hierher. Fremde Menschen, die nichts miteinander zu tun haben, treffen sich plötzlich in diesem einsamen Gasthaus. Das muß doch einen Grund haben.«
»Ja, sie hat recht«, meinte Fred McMillan.
»Wenn man die Sache so sieht, bestimmt«, gab auch Gavin Nesbitt zu.
»Hatten Sie nicht irgendeinen Traum?« fragte Cora.
Nach dieser Frage wurde es still. Die Blicke senkten sich, niemand schien dies so recht zugeben zu wollen, bis sich der Anwalt ein Herz faßte.
»Ja, ich hatte einen Traum«, gestand er. »Sogar mehrere.«
»Und was träumten Sie? Können Sie das sagen?«
»Natürlich, ist ja nichts Schlimmes.« Er zündete sich eine Zigarette an. »Ich träumte immer wieder das gleiche. Drei Männer und ich befanden sich in einer Hütte. Wir haben einen Mann bedroht, ihn dann aus der Hütte zu einem Brunnen geführt und den Mann anschließend hinuntergestoßen. Dieser Traum wiederholte sich mehrmals, er war so intensiv, daß es mich erschreckte.« Er stäubte die Zigarettenasche ab. »Was sagen Sie dazu, Miß Bendix?«
»Es stimmt, Mr. Finch. Der Vorgang existiert nicht nur in Ihren Träumen, sondern hat sich tatsächlich so abgespielt.«
»Das müssen Sie mir erklären«, sagte der Anwalt, und auch die anderen lauschten Coras Worten.
»Es war ein Wahrtraum. Sie, Sie und Sie.« Cora deutete auf den Anwalt, auf Fred McMillan und Gavin Nesbitt. »Sie alle müssen doch den gleichen Traum gehabt haben, der dann so intensiv wurde, daß wildfremde Menschen hier nach Horse Lodge kamen, um sich zu treffen. Habe ich recht, Gentlemen?«
»Ja«, antwortete Nesbitt.
Und McMillan nickte.
»Das ist unwahrscheinlich«, flüsterte der Anwalt. »Aber weshalb hat man uns herkommen lassen?«
»Können Sie sich das nicht denken?«
»Es fällt mir schwer.«
»Dann will ich es Ihnen sagen. Sie hat man herkommen lassen, damit Sie für die Sünden Ihrer Vorväter büßen. Das ist die Lösung. Der Fluch, mit dem dieser Baxman Sie alle wahrscheinlich belegt hat, soll sich in der kommenden Nacht erfüllen.«
Betroffenes Schweigen machte sich nach den Worten des Mädchens breit. Schließlich fragte die Wirtin: »Und was haben wir damit zu tun?«
»Wahrscheinlich nichts. Sie kennen doch das Sprichwort: Mitgefangen – mitgehangen.«
»Ja, das stimmt.«
Lionel Finch dachte da am klarsten.
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