013 - Der Kopfjäger
Wirklichkeit Dorian Hunter war.
Nach einigem Suchen fand ich endlich einen Parkplatz in der Rue Moret. Ich zündete mir eine Zigarette an, wartete und stieg schließlich aus. Der Himmel war verhangen, und es nieselte leicht. Ich sperrte den Wagen ab und steckte den Schlüssel ein. Dann ging ich die Straße entlang, bis ich das Haus Nummer 14 erreicht hatte. Bei Tageslicht wirkte es noch abscheulicher. Ich öffnete die Haustür. Wie erwartet knarrte sie entsetzlich. Ich mußte fünf Stufen hochsteigen, um ins Erdgeschoß zu gelangen. Eine Wendeltreppe führte weiter nach oben.
Ich sah mich kurz um. Neben der Treppe hing eine Tafel, auf der die Mieter verzeichnet waren. Lucien Berval wohnte im zweiten Stock. Nach kurzem Suchen hatte ich die Tür des Hauswarts gefunden. Ich klopfte. Schlurfende Schritte näherten sich, und die Tür wurde geöffnet.
»Guten Tag«, sagte ich freundlich und musterte den alten Mann, der in der Tür stand. Sein Gesicht war faltig, und eine altmodische Nickelbrille saß auf seiner Nasenspitze.
»Ja, mein Herr?«
»Ich hätte gern eine Auskunft«, sagte ich, setzte ein gewinnendes Lächeln auf und fuchtelte mit einem Fünfzig-Franc-Schein vor der Nase des Alten herum. Sein Blick folgte wie gebannt meinen Bewegungen.
»Ist Lucien Berval zu Hause?«
»Wahrscheinlich nicht«, sagte der Alte. »Er kommt nur selten hierher.«
»Damit wir uns richtig verstehen«, sagte ich. »Berval ist klein, hat eine Halbglatze und eine krächzende Stimme.«
»Ja, das ist Berval.«
»Fein«, sagte ich. »Seit wann wohnt er hier?«
»Seit etwa einem halben Jahr. Er ist Arzt. Er wohnt eigentlich nicht hier. Er hat ein Privatsanatorium außerhalb von Paris.«
»Das ist ja interessant«, sagte ich. »Woher wissen Sie das?«
»Zufällig«, sagte er. »Mein Neffe wohnt in Sartrouville. Er besucht mich jede Woche einmal. Und vor vier Wochen begegnete er Dr. Berval. Er sagte mir, daß Dr. Berval der Leiter eines Sanatoriums in Sartrouville sei.«
Das genügte mir vorerst. Ich gab dem Alten den Geldschein. »Besten Dank. Sie haben mir sehr geholfen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie Dr. Berval gegenüber keine Erwähnung von meinem Besuch machen würden.«
»Versteht sich«, sagte er und barg die Banknote wie einen kostbaren Schatz an seiner Brust.
Ich trat wieder auf die Straße und blieb stehen. Der Alte war für meinen Geschmack zu gesprächig gewesen. Ich wurde den Verdacht nicht los, daß er von de Buer beeinflußt worden war. Aber darauf kam es jetzt nicht an.
Von einer Telefonzelle aus versuchte ich wieder Melville zu erreichen. Er hatte sich noch immer nicht in der Redaktion gemeldet. Ich kaufte mir einige Zeitungen und überflog die Überschriften. Die Polizei war keinen Schritt weitergekommen, aber es waren auch keine neuen Opfer gefunden worden. Marquet hatte es anscheinend vorgezogen, die Polizei doch nicht zu verständigen.
Ich ging einige Minuten spazieren und versuchte, Ordnung in meine wirren Gedanken zu bringen. Mit ziemlicher Sicherheit konnte ich annehmen, daß Frederic de Buer und Lucien Berval ein und dieselbe Person waren. Seit etwa einem halben Jahr hatte de Buer die Wohnung in der Rue Moret. Und von diesem Haus führte ein Geheimgang zu Marquets Haus.
Gilbert Sanson hatte Kontakt mit de Buer aufgenommen. Wahrscheinlich hatte Sanson seinen Freund Raymond Pellegrin darüber informiert und ihm auch Lucien Bervals Karte gegeben. Sanson hatte seinen Urahnen, den früheren Henker von Paris, anrufen wollen. Hatte er damit Erfolg gehabt? Ich schüttelte zweifelnd den Kopf. Gilbert Sanson war eines der ersten Opfer gewesen. Ray Pellegrin hatte wahrscheinlich sterben müssen, weil er von de Buer gewußt hatte.
Aber die Morde ergaben für mich keinen Sinn. Ich hatte zwar de Buer gesehen, wie er Ray Pellegrins Blut geschlürft hatte, aber ich war ziemlich sicher, daß er die Morde nicht selbst begangen hatte. Wer steckte dann dahinter?
Eigentlich gingen mich die Morde gar nichts an. Ich wollte nur de Buer töten. Dennoch kehrten meine Gedanken immer wieder zu der Mordserie zurück. De Buer war ein Vampir, aber er hatte ganz andere Möglichkeiten, an Blut zu kommen. Er mußte deshalb nicht seine Opfer töten. So sehr ich auch hin und her überlegte, ich kam zu keinem Schluß.
Es regnete stärker, und ich stieg wieder in den Simca.
Melvilles Verschwinden beunruhigte mich doch mehr, als ich zugeben wollte. Ich beschloß, die Straße nach Versailles zu inspizieren. Später wollte ich dann
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