013 - Der Mann, der alles wußte
sich der junge Mann von ihr losmachte. Sie ergriff ihn jedoch wieder am Arm und blickte ihn flehend an.
Mr. Mann sah mit Entsetzen, daß er die Hand hob, sie in das Haus stieß, die Tür wütend zuschlug und davoneilte. Im nächsten Augenblick war er schon um die Straßenecke verschwunden und außer Sicht gekommen. Mr. Mann nahm seinen Hut ab und wischte sich die Stirn, dann ging er langsam zur Haustür. Aber dort zögerte er. Unter welchem Vorwand konnte er hier einen Besuch machen? Wenn es tatsächlich Frank Merril gewesen war, dann hatte er sich vollkommen in ihm getäuscht. Die Rätsel wurden immer größer.
Aber im nächsten Augenblick faßte er sich wieder. Er notierte sich die Nummer des Hauses und eilte dann hinter dem jungen Mann her. Als er um die Straßenecke bog, konnte er ihn jedoch nicht mehr sehen, und auch an der nächsten Ecke war keine Spur mehr von ihm zu entdecken. Glücklicherweise fuhr gerade ein leeres Taxi vorüber, und er winkte dem Chauffeur.
»Hotel Grimm - Jermyn Street«, rief er ihm zu.
Wenigstens über einen Punkt wollte er sich Klarheit verschaffen.
15
»Hotel Grimm« ist in Wirklichkeit ein Häuserblock und besteht aus vielen Einzelwohnungen, die mit einem Restaurant verbunden sind. Das Restaurant ist eigentlich nur eine große Küche, von der aus auf Wunsch Essen in die Wohnungen geschickt wird.
Franks Räume lagen im dritten Stockwerk, und Mr. Mann eilte in die Halle, nachdem er den Chauffeur entlohnt hatte. Er fuhr mit dem Lift nach oben und stand kurz darauf vor Franks Tür. Er klopfte, fürchtete aber, keine Antwort zu erhalten. Zu seiner größten Beruhigung hörte er jedoch ein paar Sekunden später Franks Schritte.
Merril war gerade im Begriff, sich zum Abendessen umzukleiden.
»Treten Sie bitte näher«, sagte er in froher Stimmung, »und erzählen Sie mir, was Sie Neues erfahren haben.«
Er führte Mr. Mann in das Wohnzimmer, wo er seine Krawatte band.
»Wie lange sind Sie schon in der Wohnung?«
Frank warf ihm einen fragenden Blick zu.
»Wie lange mag das wohl sein? Genau weiß ich es nicht, aber jedenfalls bin ich kurz nach dem Mittagessen heimgekommen und seitdem nicht wieder ausgegangen.«
Mr. Mann war aber immer noch verwirrt und ließ sich nicht so schnell überzeugen.
»Welchen Anzug haben Sie denn vorher angehabt?«
Nun sah ihn Frank höchst überrascht an.
»Warum wollen Sie denn das wissen?« fragte er schnell. »Ich verstehe wirklich nicht, was Sie wollen.« »Was für einen Anzug haben Sie heute getragen?« wiederholte Mr. Mann eindringlich.
Frank ging in sein Ankleidezimmer, kam aber sofort wieder zurück und warf einen blauen Straßenanzug über den Stuhl. Mr. Mann hatte Frank schon öfters in diesem Anzug gesehen.
»Also, nun heraus mit der Sprache. Was für einen Scherz haben Sie vor?«
»Es handelt sich durchaus nicht um einen Scherz. Ich könnte einen Eid darauf schwören, daß ich Sie vor einer halben Stunde in Camden Town gesehen habe.«
»Ich weiß wohl, wo die Gegend liegt, aber ich bin seit mehreren Jahren nicht dort gewesen.«
Mr. Mann schwieg kurze Zeit. Der junge Herr, den er vor Flowerton Road Nr. 69 gesehen hatte, war also nicht Frank Merril. Als er später die Geschichte erzählte, hörte ihm Frank interessiert zu.
»Sie haben sich wahrscheinlich geirrt. In der Dämmerung täuscht man sich sehr leicht.«
Mr. Mann ließ sich jedoch nicht beruhigen. »Ich hätte tatsächlich jeden Eid darauf geschworen, daß Sie es waren!«
Frank schaute zum Fenster hinaus.
»Merkwürdig«, meinte er halb belustigt. »Ich kann allerdings niemanden anklagen, nur weil er mir zum Verwechseln ähnlich sieht. Das arme Ding!«
»Von wem sprechen Sie denn?«
»Ich dachte an die unglückliche junge Frau. Es ist doch entsetzlich, wie brutal die Männer manchmal sind!«
»Sie haben mir einen fürchterlichen Schrecken eingejagt!«
Frank lachte laut auf.
»Ich glaube, Sie sehen mich im Geist schon wieder vor dem Richter stehen - diesmal wegen Mißhandlung und Körperverletzung!«
»Ich sah sogar schon mehr als das«, entgegnete Mr. Mann ernst. »Und ich sehe auch jetzt noch mehr als das. Nehmen wir einmal an, daß Sie einen Doppelgänger haben und daß er mit Ihren Feinden zusammenarbeitet - ich glaube, es ist wirklich sehr gefährlich für Sie.«
Frank schüttelte traurig den Kopf.
»Mein lieber Freund«, sagte er mit einem trüben Lächeln. »Ich bin es müde, überhaupt noch etwas anzunehmen. Vergessen Sie das alles und begleiten Sie mich.
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