013 - Der Mann, der alles wußte
an dem Verbrechen beteiligt?« fragte May dann langsam.
Er schüttelte den Kopf.
»Weder direkt noch indirekt«, entgegnete er bestimmt.
Im nächsten Augenblick lag sie in seinen Armen. Es waren keine Worte von Zuneigung oder Liebe zwischen ihnen gewechselt worden, aber sie hatten sich gefunden. Hoch oben in den Bergen verlobte sich May Nuttall mit Jasper Cole, und in kurzen Briefen machte sie ihren Freunden davon Mitteilung.
Vierzehn Tage später kam sie in England an, und Mr. Mann holte sie vom Charing-Cross-Bahnhof ab. Sie war in der besten Stimmung, strahlte vor Glück und bot ein Bild von Schönheit und Gesundheit.
Mr. Manns Herz wurde schwer. Er hatte eine Pflicht zu erfüllen, die nicht leicht war, und er wußte, daß es keinen Zweck hatte, mit May zu debattieren. Er konnte auch nicht mit endgültigen Beweisen, sondern nur mit Vermutungen und Verdachtsmomenten aufwarten. Eine Trumpfkarte hatte er allerdings in der Hand, und er überlegte sich, ob er sie ausspielen sollte. Aber er entschloß sich, noch zu schweigen, ging zu Frank Merril und erzählte ihm, welchen Eindruck er von May gehabt hatte.
»Sie ist bis über die Ohren in Jasper verliebt«, sagte er verzweifelt. »Wenn meine Akten doch nur schon komplett wären! Dann könnte ich sie in einem Augenblick überzeugen. Noch niemals waren meine Nachforschungen so schwierig und haben so lange gedauert.«
»Ist denn gar nichts dagegen zu machen? Ich kann einfach nicht glauben, daß es so ist. Sie will Jasper heiraten! Nach allem, was geschehen ist -«
Seine Stimme klang heiser, und er brach ab.
Mr. Mann rieb nervös sein Kinn.
»Wie wäre es, wenn Sie zu ihr gingen und mit ihr sprächen? Der Anwesende hat immer recht!« sagte er tröstend. »Ich werde inzwischen Mr. Cole aufsuchen. Mit dem habe ich ein ernstes Wort zu reden.«
Frank zögerte.
»Ich kann verstehen, daß Sie es nicht gern tun«, fuhr Mr. Mann fort. »Aber es steht zuviel auf dem Spiel, als daß wir jetzt noch zögern dürften. Wir müssen unter allen Umständen verhüten, daß sie Cole heiratet. Die Hauptsache ist jetzt, daß wir Zeit gewinnen. In einem Monat, vielleicht schon früher, habe ich alle Tatsachen gegen ihn in der Hand.«
»Haben Sie noch genauere Nachrichten über die junge Dame in Camden Town bekommen?«
»Nein, sie scheint wie vom Erdboden verschwunden zu sein. Alle Nachforschungen waren bisher vergeblich.«
Frank kleidete sich an diesem Nachmittag mit außergewöhnlicher Sorgfalt an. Nachdem er sich telefonisch angemeldet und Mays Zusage erhalten hatte, erschien er pünktlich auf die Minute in ihrer Wohnung. Sie war, wie immer, sehr liebenswürdig, ja ausgesprochen herzlich zu ihm.
»Ich bin eigentlich ein wenig traurig, daß du nicht früher gekommen bist«, sagte sie. »Warum hast du mir nicht eher gratuliert?« Sie sah ihm gerade in die Augen.
»Das kannst du wirklich nicht von mir verlangen, May«, erwiderte er einfach und ohne Vorwurf. »Du weißt, was du mir bedeutest und wie sehr ich dich liebe. Wirklich, ich kann das alles nicht verstehen. Ich kann nur annehmen, daß du mich immer noch als Mörder verdächtigst. Aber ich muß trotz allem wiederholen, daß ich dich mehr liebe als sonst etwas auf der Welt.«
»Würde ich mit dir reden, wenn ich dich tatsächlich im Verdacht hätte? Nein, Frank, ich war damals ein Kind und kannte mich selbst noch nicht. Es sind allerdings erst ein paar Monate inzwischen vergangen, aber glaube mir, es wäre der größte Fehler, wenn ich dich heiratete. Ich würde unglücklich werden, denn ich habe von Anfang an im Grunde nur Jasper geliebt.«
Sie sprach ruhig, ohne die geringste Erregung oder Befangenheit.
»Hoffentlich nimmst du die Sache nicht zu schwer«, fuhr sie fort. »Wir wollen gute Freunde bleiben, wie wir es früher waren. Selbst die Erinnerung an den Tod deines Onkels, die entsetzliche Gerichtsverhandlung und die Rolle, die Jasper dabei spielte, sollen nicht zwischen uns treten.«
»Aber siehst du denn nicht, was das für mich bedeutet?« rief er leidenschaftlich.
Ihre Blicke trafen sich sekundenlang, und Frank las verzweifelt die Wahrheit in ihren Augen.
»Ich weiß, woran du jetzt denkst«, sagte er heiser. »An all die häßlichen Dinge, die bei der Verhandlung vorgebracht wurden! Daß ich dein Vermögen in meinen Besitz gebracht hätte, wenn es mir gelungen wäre, deine Hand zu erringen! Daß ich dich aus keinem anderen Grund hätte heiraten wollen!«
Sie wurde rot.
»Ja, ist es nicht grauenhaft? Ich
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