0131 - Königin der Wölfe
keinen Spaß. Quer über den Hof rannte ich und schaute mich erst um, als ich weit genug entfernt war.
Da half die Frau ihrem Sohn gerade auf die Beine. Er schüttelte noch drohend die Faust.
Um telefonieren zu können, mußte ich wohl bis zum nächsten Fernsprechhäuschen laufen, etwas anderes kam in meinem Aufzug anscheinend nicht mehr in Frage.
Und irgendwie traute ich mich auch gar nicht, zu Menschen zu gehen. Etwas hielt mich davon ab. Wahrscheinlich das Wissen um meine Doppelexistenz.
Tagsüber ein Mensch – nachts eine Bestie.
Grausam…
Ich ging weiter. Ich wollte mich einfach treiben lassen, doch seltsamerweise wurden meine Schritte gelenkt. Ich schritt kräftig aus, nach Westen hin, wo auch die Sonne untergehen und der Mond erscheinen würde.
Da war mein Ziel.
Nur – welches?
Welches Ziel hatte ich? Selbst konnte ich mir keines vorstellen, aber etwas lockte, das spürte ich deutlich. Es war wie eine ferne Stimme. Menschen wich ich nach Möglichkeit aus, und auch Straßen überquerte ich nur, wenn ich sicher war, von keinem Autofahrer gesehen zu werden.
Ich fühlte mich wie ein Ausgestoßener, wie einer, der nicht mehr zu den Menschen gehörte.
Es wurde kühler.
Erster Herbstdunst breitete sich auf den Wiesen aus. Ich gelangte an einen Bach und trank klares Wasser.
Es schmeckte mir nicht.
Dann ging ich weiter.
Durch eine einsame Landschaft, aus der hin und wieder ein Gehöft hervorragte wie ein Fremdwesen.
Und die Lockung war nach wie vor zugegen. Sie steuerte mich auf mein Ziel zu.
Sogar stärker jetzt.
Verwirrt schüttelte ich den Kopf. Wer meldete sich da?
Dann sah ich in der Ferne einen etwas erhöhten dunkleren Strich.
So jedenfalls kam er mir vor. Sollte das mein Ziel sein? Ich lief schneller und erkannte schließlich einen Bahndamm, über den zwei Gleise liefen.
Und links von mir tauchte ein Ungetüm auf.
Ein Güterzug.
Schnell kam er näher, während ich noch am Bahndamm kauerte und mich auf der schrägen Ebene festgekrallt hatte. Ich wollte den Zug vorbeilassen, um den Bahndamm zu überqueren, doch weiter rechts sprang plötzlich ein Signal um.
Stopp!
Der tonnenschwere Güterzug wurde automatisch gebremst.
Plötzlich sprühten Funken auf, entstanden glitzernde Ketten zwischen Rädern und Schienen. Ein nervenzerfetzendes Kreischen erfüllte die Luft, und es hatte den Anschein, als würde der schwere Zug nicht rechtzeitig zum Stillstand gelangen.
Das täuschte aber.
Vor dem Signal kam die schwere Lok zum Stehen.
Und ich kauerte am Hang.
Da hatte ich die Idee. Warum zu Fuß weiterzulaufen, wenn es sich in einem Waggon leichter fortkommen läßt?
Ich peilte hoch und sah einen geschlossenen Transportwagen dicht vor mir. Zudem schien mir die seitliche Tür offenzustehen.
Ich wagte es.
Bevor mich jemand vom mitfahrenden Personal beobachten konnte, robbte ich die Böschung hoch, packte den eisernen Griff der Tür und riß sie kraftvoll auf, so weit, daß ich hindurchschlüpfen konnte und in das Dämmer eintauchte.
Dann schloß ich die Tür wieder bis auf einen winzigen Spalt. Ich hatte den Griff noch in der Hand, als hinter mir die kratzige Stimme aufklang. »Willkommen an Bord, Kollege!«
***
Ich erschrak. Bis in die Knochen sogar. Daß der Wagen von einem Stromer besetzt war, damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet.
Ich versuchte, mir möglichst nichts anmerken zu lassen, und drehte mich langsam um.
Viel erkennen konnte ich nicht. Dazu war es innerhalb des Güterwagens zu dunkel. Nur durch den Türschlitz fiel ein schmaler Lichtstreifen.
Doch der andere sah mich. »He, Kumpel!« rief er. »Du hast ja gelbe Augen. War deine Mutter ‘ne Wölfin?«
Verdammt, das saß.
Hatte er etwas bemerkt? Unwillkürlich duckte ich mich, doch als sein Lachen an meine Ohren drang, entspannte ich mich wieder.
»War doch nur Scherz, aber gelbe Augen hast du wirklich.«
»Ich weiß. Liegt in der Familie.«
Mittlerweile konnte ich besser sehen. Der Wagen war nicht völlig leer. Rechts von mir standen einige Fässer. Was sich darin befand, wußte ich nicht. Sie waren durch Halteringe mit der Wand verbunden. Der Penner saß den Fässern genau gegenüber, also links von der Tür, und ich glaubte, in der dunkelsten Ecke noch eine andere Gestalt hocken zu sehen.
»Hast du den Zug angehalten?« wurde ich gefragt.
»Nein.« Ich räusperte mich. »Ein Signal.«
»Ja, das kommt schon mal vor. Güterzüge halten die öfter an. Los, Junge, setz dich zu mir.« Er klopfte mit der
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