0135 - Der Moloch
Ihr könnt doch nicht zusehen, wie man euch ins Verderben schickt. Ihr müßt was dagegen tun. Fliehen wir! Ich habe keine Lust, Opfer eines Dämons zu werden. Ich nicht.«
»Reg dich nicht auf«, erwiderte Charity Hale lahm.
Jane Collins verstand die Welt nicht mehr. Da hockte sie zusammen mit sechs Schicksalsgenossinnen, und die redeten von ihrem Tod, als wäre es die natürlichste Sache der Welt.
Darüber konnte Jane wirklich nur den Kopf schütteln. »Wollt ihr euer Leben einfach wegwerfen?« rief sie.
Charity antwortete. »Das ist gar nicht sicher, ob wir sterben werden.«
»Was ist denn sicher?«
»Keine Ahnung. Außerdem mußt du dich daran gewönnen, daß du jetzt ihm gehörst. Er ist derjenige, dessen Sklavin du jetzt bist.«
Jane beugte ihren Oberkörper vor und schüttelte den Kopf. »Ich verstehe euch nicht. Ich verstehe euch wirklich nicht. Wie kann man nur so reagieren.«
»Du würdest anders sprechen, wenn du wüßtest, was wir hinter uns haben.« Dies sagte nicht Charity, sondern das Girl neben Jane.
»Und was habt ihr hinter euch?«
»Die Hölle, Jane-Darling. Man hat uns fertiggemacht. Die schlimmsten Demütigungen, die man Frauen antun konnte, die hat man uns angetan. Es war grauenhaft. Wir gerieten als blutjunge Dinger in die Fänge eines Gangsters, der uns vermietete. Aber an Ausländer, an Orientalen und so weiter. Uns kann nichts mehr erschüttern, und wir waren froh, als man uns laufen ließ.«
»Aber ihr seid hier auch Gefangene.«
»Denen es gut geht«, erwiderte Charity. »Wir brauchen nicht mehr mit schmierigen Männern zu schlafen, wir warten nur auf ihn. Ich gebe zu, es ist makaber, aber was will man machen? Nicht jeder kann sich sein Leben aussuchen.«
»Und warum laufen wir alle halbnackt herum?« fragte Jane.
»Weil ab heute an je verschiedenen sieben Tagen eine von uns einen Tanz vorführt. Er muß ihm gefallen, denn dann erst werden wir zu ihm gelassen. Kennst du Salome?«
»Ja, den Schleiertanz«, erwiderte Jane.
»So ähnlich läuft das heute abend ab.«
Jane hob den Kopf und schaute Charity an. »Okay, ich habe alles verstanden, du hast auch genug erzählt. Aber eins sage ich dir. Ihr könnt tanzen, was ihr wollt, nur ohne mich. Ich verschwinde, das ist mein letztes Wort.« Jane Collins stand auf.
»Und wo willst du hin?«
Die Detektivin deutete auf die Tür. »Ist sie abgeschlossen?«
Die Girls warfen sich beziehungsvolle Blicke zu. »Nein«, sagte Charity, »sie ist nicht abgeschlossen.«
»Dann gehe ich jetzt!«
»Bitte.«
Jane wunderte sich, daß die Mädchen sie nicht zurückhalten wollten. Da war etwas nicht geheuer, daran konnte sie es direkt fühlen. Nach zwei Schritten blieb sie stehen und drehte den Kopf.
»Stimmt etwas nicht?« Ihre Stimme klang unsicher.
»Nein, nein, geh nur. Aber sei vorsichtig!«
Jane ahnte, daß sie keine Chance hatte. Aber sie wollte es genau wissen, sie hatte A gesagt und mußte auch B sagen. Also ging sie weiter.
Vor der Tür zögerte sie.
»Bist du feige?« hörte sie die rauchige Stimme.
»Nein.«
»Dann mach doch auf!«
Entschlossen legte Jane Collins die Hand auf die Klinke, drückte sie nach unten und zog hastig die Tür auf.
Mit einem Schrei fuhr sie zurück!
***
Angst und Entsetzen schüttelten sie. Sie preßte eine Hand vor den Mund, denn jetzt wußte sie, wen die Mädchen mit ihm gemeint hatten.
Der Moloch!
Er hockte auf dem Grund einer viereckigen Grube, eine weißblau schimmernde Gestalt mit einem gräßlichen Gesicht. Als der Lichtschein in die Grube fuhr, schnellte seine Pranke hoch und klatschte gegen die innere Grubenwand.
Fast hätte die Pranke Jane erwischt. Doch sie war rechtzeitig genug noch zurückgesprungen.
Sie hörte Charitys Lachen. »Willst du immer noch fliehen, kleine Jane?«
Die Detektivin schüttelte den Kopf. Was sie gesehen hatte, reichte ihr. Und dabei war die Grube nicht einmal groß. Sie hätte sie bequem überspringen können. Nur befanden sich an der gegenüberliegenden Seite ebenso wie rechts und links Wände. Und die schlossen fugenlos mit dem Rand der Grube ab.
Eine Rattenfalle.
Jane Collins hämmerte die Tür zu, stolperte zu ihrem Stuhl und sank dort zusammen.
Die Mädchen ließen sie in Ruhe.
Bis Charity sagte: »Jeder von uns ist es so ergangen, Jane. Jeder.«
Die Detektivin nickte. Sie hatte die Ausweglosigkeit ihrer Lage eingesehen, der Schock saß noch tief, trotzdem wollte sie nicht aufgeben. Sie war einfach nicht der Typ, der die Flinte ins Korn
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