0136 - Clan der Vampire
Feierabendverkehr einfädelte, ohne auf andere Verkehrsteilnehmer Rücksicht zu nehmen.
»Oha«, murmelte der Professor. »Ihr Experten…«
»Das sah aber nach einer Flucht aus«, sagte Nicole.
Zamorra sah sie an. »Wovor sollten sie flüchten?«
»Sie?«
»Zwei«, erklärte der Professor. »Zwei Männer. Komisch…« Daß auf seiner Brust das Amulett im Sonnenuntergang funkelte, fiel beiden nicht auf.
»Komm, Chéri, laß uns gehen, ehe die Boutiquen schließen«, verlangte Nicole und zog Zamorra mit sich durch die Straßen Brightons. Sie schaffte es tatsächlich noch, Augenblicke vor Ladenschluß sich komplett auszustaffieren und die neue Garderobe direkt anzubehalten. Ihre alte Kleidung wurde säuberlich zusammengepackt und Zamorra als Päckchen in die Hand gedrückt, der das Kunststück fertigbrachte, mit der anderen Hand einen Scheck auszuschreiben.
Er musterte Nicole von oben bis unten. Eine golden schimmernde Bluse, hauchdünn und etwas durchscheinend, eine hellblaue, enganliegende Hose, die ihr wie eine zweite Haut saß, und dazu kniehohe Lacklederstiefel. »Ich nehme an, du möchtest im nächsten Travolta-Film auftreten«, vermutete der Professor.
Nicole schüttelte lachend den Kopf, wobei ihre Perücke im Zwielicht intensiv blau aufleuchtete. »Ganz so schlimm ist’s eigentlich nicht«, verkündete sie. Zamorra dachte an die Summe, die er auf den Scheck geschrieben hatte, und überlegte, daß die gleichen Kleidungsstücke in Frankreich mit ziemlicher Sicherheit zehn bis zwölf Prozent preiswerter gewesen wären. Aber eine Nicole, die nicht bei jeder Gelegenheit einkaufte, war nicht Nicole. Es gehörte zu ihr wie die dunkelbraunen, ausdrucksvollen Augen mit den winzigen goldenen Tupfern, und aus diesen Augen strahlte sie ihn jetzt vergnügt an.
»Was machen wir mit dem angebrochenen Abend?«
Zamorra machte eine weitausholende Handbewegung. »Wir werden verschiedene Dinge tun«, verkündete er.
»Ein opulentes Mahl in einem exklusiven Restaurant, anschließend Tanzen, und dann…«
»Was dann?« fragte Nicole mit unschuldigem Augenaufschlag.
Zamorras Stimme sank zu fast unhörbarem Flüstern. »Rate mal, Nici, wozu die Verbindungstür zwischen unseren Zimmern gut ist…«
»Wüstling!« rief sie ihm zu.
Doch seine Aufmerksamkeit wurde in diesem Augenblick von einer anderen Sache gefesselt.
Er sah den metallicblauen Royale wieder. Der Wagen glitt mit hoher Geschwindigkeit die Straße entlang. Die hohe, pendelnde Funkantenne machte ihn unverwechselbar. Rücksichtslos schnitt der Fahrer einige andere Verkehrsteilnehmer. Ein fassungsloser Bobby sah dem Wagen nach und vergaß völlig, seine Trillerpfeife zu benutzen.
Achselzuckend wandte Zamorra sich wieder seiner Gefährtin zu. Er maß dem Wagen im Grunde keine besondere Bedeutung bei und übersah auch den Landrover, der sich abmühte, dem Vauxhall durch den City-Verkehr zu folgen. Brighton als Hafenstadt besaß in den Abendstunden ein enormes Verkehrsaufkommen, die rushhour dauerte hier dreimal so lange.
»Komisch«, sagte Nicole, während sie Hand in Hand wie ein Liebespaar die Straße entlanggingen.
»Was?« fragte Zamorra.
»Ich glaubte vorhin, das Amulett kurz aufleuchten zu sehen«, sagte sie.
Zamorra blieb ruckartig stehen. »Wann war das?« fragte er überrascht.
»Als der blaue Wagen vorbeifuhr«, sagte Nicole.
Da erwachte in Zamorra ein ganz bestimmter Verdacht.
***
»Gefahr«, raunte Fedor Bralinskij. Die Augen des Vampirs auf dem Beifahrersitz glommen düster. »Etwas konzentriert sich auf uns. Es kann kein Zufall sein. Wir werden verfolgt von dem Landrover der Japaner. Doch da muß jetzt ein anderer Faktor mitspielen. Ich spüre andere Impulse. Sie sind uns nahezu verwandt.«
»Das kann nicht sein«, zischte Anatol Popoff, dessen Name in der Sowjetunion so häufig verbreitet war wie in England Smith oder in Deutschland Meier. »Der Japaner, den ich mit dem Keim versah, ist verloschen wie ein Schatten, den die Sonne trifft, der andere tot - und wie sollte der dritte zu einem der Unseren geworden sein?«
»Ich weiß es nicht«, erwiderte Fedor. »Doch eine andere Macht ist im Spiel. Hinzu kommt dieser seltsame Mann vor dem Hotel. Erst glaubte ich an einen Zufall, doch jetzt habe ich die Gewißheit, daß es um mehr geht. Nicht zufällig trägt er jenes Silberamulett, das uns blendete, nicht zufällig ist er hier in Brighton.«
»Er kam aus dem Hotel, in dem wir uns einquartieren wollen«, sagte Popoff. »Wir sollten uns
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