0137 - Luzifers Ende
vermeintlichen Befreiung nicht mehr daran gedacht, sich um die Uhrzeit zu kümmern - und jetzt war es zu spät dazu. Im wahrsten Sinne des Wortes…
Das magische Fesselfeld des Unheimlichen hatte sie nicht wieder in seine Gewalt gezwungen. Sie war in der Lage, sich in der Grotte frei zu bewegen. Dennoch verzichtete sie nach der ersten gründlichen Erforschung darauf. Es gab für sie keine Möglichkeit, durch die feuchten Felswände zu entkommen. Die Tür schied ebenfalls aus. Kein zweites Mal würde sie durch sie ausbrechen können, weil hier eine magische Sperre existierte, die sie wie eine stromführende Leitung mit entsprechendem Schock zurückschnellen ließ, kaum daß sie das Schirmfeld zum erstenmal berührt hatte.
Trotz der Feuchtigkeit der Wände fror sie nicht. Eine unsichtbare Wärmequelle hielt die Temperatur in der Grotte bei etwas über zwanzig Grad Celsius, wie Nicole schätzte. Das leichte Frösteln, das sich hin und wieder bei ihr einstellte und ihr eine Gänsehaut verlieh, stammte allein von dem Gedanken an das Tiefsee-Monster, dessen Anblick sie nicht vergessen konnte. Wie konnte nur ein derartiges Geschöpf entstanden sein? Oder war es gar kein Geschöpf dieser Welt, war es vor Äonen aus einer fremden Dimension gekommen? Ganz auszuschließen war diese Möglichkeit nicht. Nicole wußte, daß die Barrieren zwischen den Dimensionen zuweilen verschwammen, diffus wurden und den Übertritt von einer Existenzebene in die andere ermöglichten. Es gab auch die Möglichkeit, einen gewaltsamen Durchbruch zu schaffen… schaudernd entsann sie sich jenes Erlebnisses vor etwa einem Jahr, als Zamorra und sie zusammen mit einigen Studenten in eine andere Dimension geschleudert worden war, in der Säureregen und ähnliche unvorstellbare grauenhafte Monstren existierten. [2]
Doch es war müßig, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Die unheilvolle Situation war da, und sie mußte sich damit abfinden - oder trotz aller Aussichtslosigkeit versuchen, dagegen anzukämpfen. Irgendeine Möglichkeit hatte es bisher noch immer gegeben. Vielleicht gab es sie auch diesmal. Ihre größte Hoffnung setzte sie auf Zamorra. Vielleicht hatte er inzwischen herausfinden können, wohin sie entführt worden war… Ihr Blick fiel wieder auf das schwach gelblich leuchtende magische Schirmfeld vor der Tür, die perfekteste Sicherung, die sie sich vorstellen konnte und die ebensowenig mit Zaubersprüchen zu beseitigen war wie jenes Fesselfeld, das sie anfangs auf der Holzpritsche festgehalten hatte, auf der sie sich jetzt freiwillig ausgestreckt hatte. Das harte Holz war immer noch dem steinigen, feuchten Boden vorzuziehen.
Das Leuchten wurde schwächer und verblaßte!
Wieder eine Falle?
Langsam erhob sie sich, musterte die Tür mißtrauisch. Der Kerzenschein schuf ein seltsames Zwielicht. Wie lange konnte diese Kerze überhaupt brennen, ohne ein Stück kürzer zu werden?
Die Tür wurde geöffnet.
Der Alte mit dem faltenreichen, runzligen Gesicht und der blassen Gesichtshaut trat ein. Er trug eine graue Kutte wie ein keltisches Druide auf den uralten Abbildungen. Vergeblich suchte Nicole auf seiner Stirn nach den Hörner, doch als sie dann einen Blick auf den Schatten warf, den das Kerzenlicht an der Hand abbildete, sah sie die Hörner deutlich und gestochen scharf.
»Wer - wer bist du?« fragte sie stockend.
Hatte er nicht Ähnlichkeit mit Yann, dem Zauberer? Doch der hatte lebendiger ausgesehen, frischer, aktiver. Dieser Gehörnte hier wirkte wie jemand, der am Rand der Gruft entlangschritt, in die er jeden Moment stürzen konnte.
Ein Sterbender!
»Wer ich bin?« echote der Alte. Es klang, als käme seine Stimme von weit her, hohl und wie ein Windhauch in einer Schlucht. Zwei Meter vor Nicole blieb er stehen. »Es spielt keine Rolle. Du brauchst es nicht zu erfahren. Namen sind Schall und Rauch. Aber du sollst erfahren, daß es nicht mehr lange dauert.«
»Was?« schrie sie. »Was dauert nicht mehr lange? Meine Gefangenschaft?« Provozierend sah sie ihn an.
»Dein Leben«, sagte er mit Grabesstimme.
Nicole fühlte, wie sich die Nackenhärchen sträubten. Es klang endgültig, unentrinnbar, wie er es sagte. Seine Augen verstrahlten ein düsteres Glühen, das aus der Hölle selbst zu kommen schien.
»Was hast du mit mir vor, Dämon?« fragte sie fast lautlos.
»Ich bin kein Dämon«, gab er zur Antwort. »Du wirst erfahren, was mit dir geschehen wird, wenn es so weit ist. Nicht mehr lange… Auf der Oberfläche der Welt
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