0138 - Der Höllensohn
Qual, von Not und Tod, Leid und Sterben, die sie seit Jahrtausenden mit angesehen hatten.
Roger Marais’ Zähne klapperten aufeinander, so setzte ihm die Nachtkälte zu. Die Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht betrugen bis zu sechzig Grad und manchmal sogar noch mehr.
Roger sah zu den Sternen hinauf und fühlte sich unbedeutend und winzig gegen die Unendlichkeit des Alls und die Weite der Wüste.
Er betete, was er schon lange nicht mehr getan hatte.
In seiner Nähe erklang das Heulen eines Schakalsrudels. Roger schreckte aus seinem inbrünstigen Gebet auf. Er schaute sich um, und da sah er sie durch die Bodenmulde heranschleichen. Sechs Schakale waren es, dürre Tiere mit hängenden Schwänzen.
Mit geifernden Lefzen pirschten sie sich auf den Wehrlosen zu.
Die Lichter der Felleks, der Wüstenschakale, glühten.
Roger Marais war für sie ein Festtagsbraten. Aber noch waren sie mißtrauisch und wagten sich nicht recht an ihn heran. Denn sie rochen die Witterung des Menschen, mit dem sie schlechte Erfahrungen gemacht hatten.
Das Schakalsrudel erklomm die Düne. Ein Schakal hob den Kopf zu den Sternen empor und heulte klagend. Zwei weitere fielen ein.
Das Geheule brach ab, und knurrend umringten die Schakale den Gefesselten.
Die langen weißen Fänge blitzten im Mond- und Sternenlicht. Roger Marais bäumte sich nochmals auf und zerrte an seinen Fesseln, was er schon stundenlang nicht mehr versucht hatte. Denn es war schmerzhaft und vergeblich.
Todesangst packte ihn und trieb die letzten Tropfen Schweiß aus seinem ausgedörrten Körper. Kurz zuvor hätte er sein Leben noch gern weggegeben, da er Hadda bent Fatima verloren hatte.
Aber jetzt klammerte er sich daran. Entsetzliche Furcht erfüllte ihn.
Der junge Franzose zitterte am ganzen Körper. Er zerrte nicht mehr an seinen Fesseln. Von Angst gelähmt starrte er die Schakale, die immer näher schlichen und ihn jetzt erreichten an.
Eine kalte Schnauze stieß ihm ins Gesicht. Der stinkende Hauch des Schakals drang in Rogers Nase.
»So also hast du mein Gebet erhört, Gott«, flüsterte er.
Er schloß die Augen. Roger erwartete den ersten Biß mit verkrampften Muskeln und bebendem Herzen.
Ein Knurren, Zähne zerfetzten sein Hosenbein.
Jetzt mußte es geschehen! Jetzt!
Mehrere Schüsse krachten rasch hintereinander. Zwei Schakale jaulten auf und überschlugen sich, ein anderer heulte. Eine arabische Verwünschung erscholl. Jetzt erst hörte Roger die Tritte eines Reitkamels im Wüstensand.
Er riß die Augen auf, es erschien ihm wie ein Wunder. Zwei Schakale lagen tot neben ihm, einer lebte noch. Er winselte am Fuß der Düne, die er hinuntergerollt war. Die restlichen drei Schakale aber rannten davon, so schnell sie konnten.
Die Düne entlang preschte ein Reiter mit flatterndem Burnus, einen Litham vorm Gesicht. Er schwenkte das leergeschossene Gewehr und schrie hinter den flüchtenden Schakalen her, um sie vollends davonzutreiben.
Schatten der Nacht verschluckten die Felleks. Ein Pistolenschuß beendete die Qualen des winselnden angeschossenen Schakals. Das Kamel stand wie eine groteske Silhouette langhalsig und dürrbeinig unterhalb des Grats der Düne.
Der Reiter aber sprang aus dem reichverzierten Ledersattel. Rasch löste er den Wassersack und beugte sich über Roger Marais. Er zog den Litham zurück. Es war Omar ben Tawil, Haddas Bruder.
Er gab Roger zu trinken, achtete aber darauf, daß der Franzose das Wasser nicht allzu hastig und in zu großer Menge schluckte. Für Roger war es das reine Lebenselixier. Nie in seinem Leben hatte er einen Trunk derart genossen.
»Aaaaahhhhh«, stöhnte er, »das war herrlich. Schneide mich los, Omar.«
Der Targi zog den Kumiat, und die Lederschnüre fielen. Roger Marais setzte sich auf, mit Omars Hilfe vermochte er sogar, sich auf die Füße zu stellen.
»Ich habe dir Dattelschnaps und einen Imbiß mitgebracht«, sagte Omar auf Französisch. »Hinter der Düne dort steht ein Kamel, das ich für dich gestohlen habe. Ich habe es saufen und fressen lassen, damit gelangst du bis nach In Salah. Am Sattel des Kamels hängen eine Tasche mit Proviant und ein Wasserschlauch. Mit deinen beiden Gehilfen brauchst du nicht rechnen. Sie haben dich im Stich gelassen und sind abgefahren.«
»Warum tust du das, Omar?« fragte Roger. »Ich habe doch deiner Schwester den Kopf verdreht und damit ihr Ende verschuldet.«
Omar ben Tawil schüttelte den Kopf.
»Hadda liebte dich, und du liebtest sie«, sagte er.
Weitere Kostenlose Bücher