014 - Das Geheimnis der gelben Narzissen
Sie verstehen doch, worauf es uns ankommt? Wissen Sie jemand, der mit ihm verfeindet war, der ihn gehaßt hat?« Sam nickte.
»War es eine Frau?« fragte der Detektiv scheinbar gleichgültig.
»Ja, die war es!« rief Sam fluchend. »Zum Henker noch mal, sie war es! Mr. Lyne hat sie gut behandelt, sie war vollständig heruntergekommen, halb verhungert hat er sie aus dem Schmutz aufgelesen und hat ihr eine gute Stellung gegeben. Und sie hat ihn zum Dank dafür beschuldigt, verleumdet, die schlimmsten Anklagen gegen ihn vorgebracht!« Sams Zorn und Wut gegen das Mädchen ergossen sich in einem Strom wüster Beschimpfungen und Schmähungen, wie sie der Detektiv noch nie gehört hatte.
»Solch ein gemeines Subjekt war sie, Slade«, fuhr er fort. Er redete den Beamten nur mit seinem Namen an, wie das alte Verbrecher gewöhnlich zu tun pflegen. »Sie verdiente überhaupt nicht zu leben. «
Seine Stimme überschlug sich, und er schluchzte wieder. »Wollen Sie mir denn nicht ihren Namen sagen?«
Wieder sah Sam ihn argwöhnisch von der Seite an.
»Slade, hören Sie einmal. Überlassen Sie mir doch die ganze Sache mit ihr. Die soll von mir schon ihre Keile kriegen, darauf können Sie sich verlassen!« »Aber Sam, das bringt Sie doch nur wieder in neue Schwierigkeiten. Sagen Sie uns doch den Namen. Fängt er nicht mit R an?«
»Woher soll ich das wissen?« brummte Sam. »Ich kann nicht mehr buchstabieren. Sie hieß Odette.«
»Rider?«
»Ja, so heißt sie. Sie war früher Kassiererin in Lynes Warenhaus.«
»Also nun beruhigen Sie sich einmal und erzählen Sie mir alles vernünftig hintereinander, was Ihnen Lyne über sie mitgeteilt hat.«
Sam Stay starrte ihn an, und plötzlich zuckte ein listiges Blitzen in seinen Augen auf.
»Wenn sie es war!« sagte er atemlos. »Wenn ich sie nur dafür bestrafen könnte!«
Nichts konnte die Geistesverfassung dieses Mannes besser kundtun als die Tatsache, daß er noch nie daran gedacht hatte, Odette Rider durch die Polizei fangen zu lassen. Das war ja ein ganz großartiger Gedanke. Wieder schaute er den Detektiv merkwürdig lächelnd an.
»Ich werde euch helfen«, sagte er schließlich. »Aber ich will es einem höheren Beamten sagen, nicht Ihnen!«
»Das ist auch ganz in Ordnung, Sam«, erwiderte der Detektiv freundlich. »Sie können es Mr. Tarling oder Mr. Whiteside berichten, die wissen auch besser Bescheid damit.«
Der Beamte rief einen Wagen an, und sie fuhren zusammen nicht nach Scotland Yard, sondern zu Tarlings kleinem Büro in der Bond Street. Tarling wartete hier mit Whiteside auf die Rückkehr des Beamten, den er ausgeschickt hatte, um Sam Stay zu holen.
Sam trat langsam in das Zimmer, schaute bedrückt vom einen zum ändern, nickte dann beiden zu und lehnte den Stuhl ab, den man ihm anbot. Sein Kopf schmerzte, und seine Gedanken waren verwirrt, noch nie in seinem Leben hatte er sich so elend gefühlt. Er hörte merkwürdige Geräusche und ein Summen in den Ohren, das er nie wahrgenommen hatte, bevor er in diesen ruhigen stillen Raum kam und Tarlings klaren, durchdringenden Blick auf sich fühlte. Er erinnerte sich nicht mehr, diesen Mann früher schon gesehen zu haben.
»Nun, Stay«, begann Whiteside, der den Verbrecher von früher her gut kannte, »wir möchten gern von Ihnen hören, was Sie von diesem Mord wissen.«
Stay preßte die Lippen aufeinander und antwortete nicht.
»Setzen Sie sich doch«, sagte Tarling freundlich, und diesmal gehorchte Stay. »Nun, mein Lieber, ich habe erfahren, daß Sie ein Freund von Mr. Lyne waren.« Tarling konnte, wenn er jemand überreden wollte, so sanft und freundlich sprechen, wie man es ihm nie zugetraut hätte.
Sam nickte.
»Er war gegen Sie immer sehr gut, nicht wahr?«
»Sie sagen nur gut?« Sam atmete schwer und tief. »Ich hätte meinen letzten Tropfen Blut für ihn gegeben, um ihn vor Schmerz zu bewahren. Alles hätte ich für ihn getan! Wenn ich lüge, will ich gleich tot umsinken! Er war ein Engel in Menschengestalt. Mein Gott, wenn ich jemals dieses Mädchen erwische, drehe ich ihr das Genick um! Ich will ihr das Lebenslicht ausblasen! Ich werde nicht eher ruhen, bis ich sie in Stücke gerissen habe!«
Seine Stimme wurde immer lauter, Schaum stand vor seinem Mund, und sein ganzes Gesicht war von Haß verzerrt.
»Sie hat ihn bestohlen! Er hat sich um sie gesorgt, hat sie geschützt, und sie hat ihn belogen und in eine Falle gelockt!«
Er schrie auf und erhob sich, als ob er zu dem Schreibtisch gehen wollte.
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