014 - Das Geheimnis der gelben Narzissen
-Sie, der ein Hüter des Gesetzes und der Gerechtigkeit sein sollte -«
»Ach, reden Sie doch nicht solchen Unsinn«, erwiderte Tarling.
Zum zweitenmal in der Nacht schloß er die Tür auf und öffnete sie weit.
»Milburgh, Sie können gehen. Ich weiß ja, wo Sie zu finden sind, wenn die Polizei Sie braucht.«
»Das wird Ihnen noch leid tun!« rief Milburgh erregt.
»Mir weniger als Ihnen, wenn ich erst meine Arbeit vollendet habe«, gab Tarling zurück.
»Ich werde morgen früh sofort nach Scotland Yard gehen und Sie anzeigen!« sagte Milburgh wütend. Er war bleich vor Wut.
»Tun Sie, was Sie nicht lassen können. Seien Sie auch so gut und bestellen Sie mit einem schönen Gruß von mir, daß man Sie inzwischen festnehmen möchte, bis ich selbst komme.« Mit diesen Worten schloß er die Tür.
Odette saß nun auf dem Rand des Sofas und sah den Mann forschend an, der sie liebte.
»Was hast du getan?« fragte sie leise.
»Ich habe dein Geständnis vernichtet, weil ich fest davon überzeugt bin, daß es nur unter Druck geschrieben wurde. Ich habe doch recht damit?«
Sie nickte.
»Nun warte hier noch ein wenig, bis ich mich angezogen habe. Ich werde dich dann nach Hause bringen.«
»Nach Hause?« fragte sie bestürzt. »Bringe mich nicht zu meiner Mutter. Sie darf es niemals erfahren.«
»Im Gegenteil, sie muß es erfahren. Es gibt schon viel zuviel Geheimnisse, das muß jetzt vollständig aufhören.«
Sie erhob sich vom Sofa, ging zum Kamin und stützte die Ellenbogen auf die Marmorplatte.
»Ich werde dir alles sagen, was ich weiß, vielleicht hast du recht. Es ist viel zuviel verheimlicht worden. Du fragtest mich früher einmal, wer Milburgh eigentlich sei.«
Bei diesen Worten wandte sie sich um und sah ihn an. »Ich will diese Frage nicht mehr an dich stellen, denn ich weiß es.«
»Du weißt es?«
»Milburgh ist der zweite Mann deiner Mutter.«
Sie sah ihn groß an.
»Wie hast du das herausgefunden?«
»Ich habe es vermutet«, sagte er mit einem befriedigten Lächeln. »Auf Milburghs Wunsch hat sie den Namen Rider behalten. Habe ich recht?«
Sie nickte.
»Meine Mutter hat ihn vor sieben Jahren kennengelernt, als wir in Harrogate waren. Meine Mutter hatte etwas Vermögen, und Milburgh nahm wahrscheinlich an, daß sie mehr besaß, als es in Wirklichkeit der Fall war. Er war äußerst liebenswürdig zu ihr und erzählte ihr, daß ihm ein großes Geschäftshaus in der Stadt gehöre. Meine Mutter glaubte ihm alles.«
»Nun verstehe ich«, sagte Tarling. »Milburgh hat die Gelder der Firma unterschlagen, um deiner Mutter ein schönes Leben zu bereiten.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Das stimmt nur teilweise. Meine Mutter weiß von all diesen Dingen nichts. Er kaufte das große und schöne Haus in Hertford, richtete es fürstlich ein, ja, unterhielt zwei Wagen bis vor einem Jahr. Erst auf meine Vorstellungen hin gab er das auf und lebte einfacher. Du kannst dir nicht denken, wieviel ich in diesem Jahr gelitten habe, nachdem ich erkannte, daß das ganze Lebensglück meiner Mutter zusammenbrechen würde, wenn sie seine Schlechtigkeiten erführe.«
»Wie kamst du denn dahinter?«
»Bald nach der Hochzeit ging ich eines Tages in Lynes Warenhaus. Eine der Angestellten benahm sich ungehörig mir gegenüber. Ich hätte die ganze Sache mit Schweigen übergangen, wenn nicht einer der Aufsichtsbeamten Zeuge des Vorfalls gewesen wäre. Er entließ das Mädchen sofort, und als ich ein gutes Wort für sie einlegen wollte, bestand er darauf, daß ich den Geschäftsführer sprechen sollte. Ich wurde in das Privatbüro geführt, wo ich Mr. Milburgh sah und sein Doppelleben erkannte. Er drang in mich, daß ich schweigen sollte, und schilderte mir die schrecklichsten Folgen, die irgendwelche Mitteilungen für meine Mutter haben würden. Er sagte mir, daß er alles wieder in Ordnung bringen könne, wenn ich auch in das Geschäft eintreten und ihm helfen würde. Er sprach von großen Summen, die er in Spekulationen angelegt hatte, von denen er große Vorteile erhoffte. Mit diesem Geld wollte er seine Unterschlagungen bei der Firma decken. Deshalb trat ich als Kassiererin in dem Warenhaus ein, aber er hat sein Versprechen gleich vom ersten Augenblick an gebrochen.«
»Ich verstehe nicht recht, warum er dich dort anstellte.«
»Es war ein wichtiger Kontrollposten, und wenn ein anderer meine Stelle gehabt hätte, wären seine Unterschlagungen leicht entdeckt worden. Er wußte, daß alle Nachfragen wegen
Weitere Kostenlose Bücher