014 - Das Haus der boesen Puppen
tief durch. Im Licht der Frühnachmittagssonne verblassten die Erinnerungen an die dunklen Gewölbe und den magischen Firlefanz der Alten.
Ich gab Thaja frei und verfolgte, wie sie zurücklief und zwischen den Mauern verschwand. Dann fasste ich Carlottas Hand fester.
»Kommen Sie!« sagte ich aufatmend. »Die werden nicht wagen, uns am helllichten Tag entgegenzutreten. Ich weiß, in welcher Richtung die Stadt liegen muss. Ich sah es vom Fenster aus.«
»Ja«, antwortete Carlotta.
»Wenn wir erst zu Hause sind, werden Sie diesen ganzen Spuk vergessen.« Ich lachte. »Es ist alles unglaubwürdig genug. Vielleicht war es nur ein Traum.«
»Ich werde das Opfer sein«, erklärte Carlotta teilnahmslos.
Als wir schließlich die Stadt erreichten, stand die Sonne schon tief am Horizont. Ich war müde und zerschlagen. Carlotta schien von allem nichts zu spüren. Die Droge wirkte immer noch. Ihre Willenlosigkeit und ihr einseitiges Gespräch über ihre Opferbereitschaft zerrte an meinen Nerven. Auf einem Karrenweg nahm uns ein Traktor ein Stück mit; und schließlich gelang es uns, einen Lieferwagen zu stoppen, der Papier für eine Druckerei in einem Außenbezirk lieferte. Von dort aus war es nicht schwer, ein Taxi zu bekommen, das uns zu Helens Wohnung brachte.
Ich besaß zwar einen Schlüssel zu Helens Wohnung, doch der befand sich in meiner eigenen. Zum Glück war Helen zu Hause. Ich fühlte mich ja nicht besonders wohl dabei, so einfach mit Frau Gilbert aufzutauchen, aber ich war zu elend, um nach einer anderen Lösung zu suchen. Hunger nagte in mir und wuchs. Und ich sehnte mich nach Menschen, nach Leben, nach jener pulsierenden Kraft und Wärme.
»Charlie!« rief Helen überrascht. Und zögernd: »Frau Gilbert, nicht wahr?«
In dem ruhigen, kühlen Hinterhofwohnzimmer berichtete ich Helen den Traum, den ich erlebt hatte, und bei jedem Wort schien mir alles noch absurder. Nur Carlottas willenloser Zustand bewies, dass ein Funken Wahrheit in allem stecken musste. Als ich davon erzählte, wie die Zigeunerin der Wachspuppe, die Eddie Gilbert verkörperte, den Todesstoß gab, horchte Helen auf. Sie lief mit bleichem Gesicht aus dem Zimmer und kehrte gleich darauf mit einer Zeitung wieder – der Abendzeitung. Mit zitterndem Finger deutete sie auf die Titelseite.
Ich fühlte, wie aller Unglauben in mir erlöschte. Die Schlagzeile verschwamm vor meinen Augen.
TOD EINER »SCHAUFENSTERPUPPE«
In einem Kaufhaus kam es heute Vormittag zu einem seltsamen Todesfall. In der Auslage der Herrenkonfektion fiel eine Schaufensterpuppe gegen die Scheiben und zerbrach sie. Augenzeugen berichteten, die Puppe hätte das Glas durchstoßen und wäre im Fallen von den Glasrändern geköpft worden. Dabei wäre Blut aus dem Rumpf gespritzt wie bei einem lebenden Menschen. Die Polizei, die Minuten nach dem Unfall am Ort eintraf, stellte fest, dass es sich nicht um eine Puppe, sondern um den sechsunddreißigjährigen Privatdetektiv Eduard Gilbert aus Frankfurt handelte. Genauere Ermittlungsergebnisse sind zurzeit noch nicht bekannt.
Ein Foto daneben zeigte die verdeckte Leiche vor dem zerbrochenen Schaufenster. Mehrere Meter weiter entfernt lag ein kleinerer verdeckter Gegenstand. Es konnte nur der Kopf sein.
Ich schauderte. Helen war bleich.
»Ich bin nicht abergläubisch«, flüsterte sie.
Es klang, als wäre sie dessen plötzlich nicht mehr so sicher.
»Weiß sie es schon?« Helen deutete auf Carlotta, die noch immer teilnahmslos dasaß.
»Sie hört, was wir reden, aber es berührt sie nicht«, erklärte ich. »Wenigstens erging es mir so. Der Schmerz kommt erst, wenn sie aufwacht. Kannst du uns helfen?«
»Das weißt du doch«, sagte sie. »Was soll ich tun?«
»Es wäre am besten, wenn Carlotta – Frau Gilbert – für kurze Zeit bei dir bleiben könnte.«
Ich hätte mir die Zunge abbeißen können für diesen Lapsus.
Wenn Helen gekränkt war, so zeigte sie es nicht. Obwohl ich sie schon so lange kannte, wusste ich nicht, ob sie eifersüchtig war. Wohl deshalb, weil ich sie nicht liebte, so wie sie mich.
Dennoch ahnte ich natürlich, was ich ihr zumutete, aber wo sollte ich mit Carlotta hin? Ich traute dieser alten Zigeunerin nicht. Carlotta musste so bald wie möglich nach Frankfurt zurück. Wenn sie erst in Sicherheit war, würde alles einfacher sein. Um mich selbst fürchtete ich nicht.
Helen nickte. »Und was hast du vor, Charlie?«
Ich hob die Schultern. »Ich weiß es nicht. Aber ich halte es
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