014 - Draculas Höllenfahrt
warf sie den Kopf herum.
Aber da war niemand. Der Parkplatz war völlig leer.
Mechanisch tastete sie nach dem
großen, kalten Schlüssel, den sie in ihrer Manteltasche stecken hatte. Es gab nur
drei oder vier Schauspieler des Ensembles, die auch nach Schluß der Vorstellung
und dem Inspektionsgang des Hausmeisters noch die Möglichkeit hatten, das
Theater durch den Hintereingang zu betreten. Sie gehörte zu den wenigen
Auserwählten, denen dies gestattet war. Sie konnte sogar ihre Garderobe noch
betreten.
Larry Brent kam für gewöhnlich
gegen halb elf, kurz nach Beendigung der Vorstellung. Vielleicht ging er auch
heute von dieser Gewohnheit nicht ab.
Reklamelichter zuckten
gespenstisch, und trotz des regnerischen, feuchten Wetters waren die Straßen
belebt. An einer Bushaltestelle stand ein junges Pärchen, das sich küßte. Eine
endlose Autoschlange zog sich über den Broadway.
Das kleine Theater, in dem seit
über vier Monaten ihr Stück lief, war eingezwängt zwischen einem eleganten
Restaurant und einem exklusiven Modegeschäft.
Miriam Brent passierte die dunkle
Toreinfahrt in einen großen, düsteren Hof. Von hier aus führte eine eiserne
Treppe zum Parterreeingang. Die Tür war dunkelbraun und mit zahlreichen
Kreidemännchen und obszönen Aufschriften verunstaltet. Obwohl der Hausmeister
täglich die Schmierereien entfernte, kehrten sie wieder wie eine unausrottbare
Seuche.
Miriam schloß auf. Knackend bewegte
sich der schwere Riegel. Die Hand der Schauspielerin tastete nach dem
Lichtschalter. Ein grauer, langer Korridor schälte sich aus der Finsternis, als
die gelbe Deckenlampe zu brennen begann. Nur durch die zahllosen Plakate,
Zeitungsausschnitte und Fotos erhielten die Wände ein farbenprächtiges Leben,
als ihnen von Natur aus beschieden war.
Miriam beeilte sich, in ihre
Garderobe zu kommen.
Der Geruch von Puder und Schminke
lag in der Luft. Sie schaltete das Licht an, damit ihr Bruder sah, daß sie sich
noch im Theater aufhielt.
Viertel nach zehn! Zäh flossen die
Minuten dahin. Seufzend warf sich Miriam auf die Liege. Hier verbrachte sie oft
abends nach der Vorstellung, wenn sie vollkommen erledigt war, noch eine ganze
Stunde, schminkte sich dann ab und verließ oft als Letzte das Theater.
Die Ruhe, die sie sonst so angenehm
empfand, ängstigte sie nun.
Wenn nur Larry endlich käme …
Siebzehn Minuten nach Zehn! Waren
wirklich seit dem Betreten der Garderobe erst zwei Minuten vergangen? Sie hatte
das Gefühl, schon eine ganze Stunde hier verbracht zu haben.
Plötzlich war es mit einem Mal
wieder da: das Bedrohliche, das Unheimliche, das sich lautlos heranschlich und
sie beobachtete. War nicht die Tür leise ins Schloß gedrückt worden? Waren da nicht
Schritte zu hören?
Miriam Brent zweifelte auf einmal,
aus freiem Willen hierher gekommen zu sein. Irgend etwas hatte sie gezwungen,
eine rätselhafte, unheimliche Macht … ein anderer Geist.
Sie erhob sich langsam, zitternd am
ganzen Körper.
Die Schritte hielten genau vor
ihrer Garderobentür!
Das Herz der jungen Schauspielerin
schlug so heftig in ihrer Brust, als wolle es zerspringen. Kalter Schweiß
bedeckte Miriams Stirn.
Die Türklinke senkte sich und dann
…
»Larry?« fragte Miriam leise und
zwang sich zu einer Ruhe, die sie nicht besaß.
Die Tür wich zurück. Eine Hand kam
nach vorn, fand sofort den Lichtschalter und drehte ihn herum.
Stockfinster blieb es, als wäre der
Mond auf die Erde gestürzt.
Miriams Mund öffnete sich zum
Schrei. Aber kein Laut drang über ihre Lippen. Wie ein Geist tauchte die
schwarze Gestalt vor ihr auf. Eine Hand preßte sich auf ihren Mund, und ein mit
Chloroform getränkter Wattebausch wurde auf ihr Gesicht gedrückt.
Jede Gegenwehr erstickte im Keim,
noch ehe sie aufkam.
Miriam sank zurück. Ihr
geheimnisvoller, nächtlicher Besucher hob sie hoch und trug das leichte,
grazile Geschöpf rasch nach draußen. In der Dunkelheit schimmerten die weißen
Zähne des Fremden, und in den dunklen Augen irrlichterte der Wahnsinn …
Dracula war gekommen! Er hatte sich
sein Opfer geholt.
●
Larry öffnete die Augen. Er war
sofort hellwach. Neben ihm auf dem breiten Diwan lag Eve. Ihr Körper wurde von
der Decke nur zur Hälfte bedeckt. Der braune Teint schimmerte matt. Unter dem
angewinkelten Arm war der Ansatz der kleinen festen Brüste zu sehen.
Eves Gesicht war auch ruhig und
entspannt. Zufriedenheit zeichnete ihre Miene.
Leise und behutsam stieg Larry aus
dem Bett, hauchte einen
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