Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
015 - Die Heiler

015 - Die Heiler

Titel: 015 - Die Heiler
Autoren: Claudia Kern
Vom Netzwerk:
schaukelnden Insektengang einen Hügel erklomm. Im nächsten Moment zog Matt die Zügel.
    »Wow…«, entfuhr es ihm beeindruckt. Vor ihm lag das Atomium.
    Die einst silberhellen Kugeln und Verstrebungen, die das ins Gigantische vergrößerte Modell eines Atoms darstellten, waren mit Rost und verkrusteter brauner Erde bedeckt. Die Jahrhunderte, in denen starke Winde über die Ebene fegten, hatten den Strukturen ihren Stempel aufgedrückt. An den wenigen geschützten Stellen bedeckte Moos die Kugeln.
    Die Verstrebungen, die bis zum Boden reichten, waren mit rostigem Stacheldraht umwickelt.
    Inmitten des Bauwerks wehte eine weiße Fahne, auf der ein rotes Kreuz abgebildet war - eine Botschaft, die anscheinend auch in diesem neuen Zeitalter ihre Bedeutung beibehalten hatte, denn Matt entdeckte eine Prozession von Menschen, die sich langsam in das Tal hinab schlängelte. Sie endete vor einem großen hölzernen Tor, das von zwei Wachtürmen flankiert wurde. Von dem Tor ausgehend zog sich ein mehrere Meter hoher Palisadenzaun rund um ein Areal, in dem sich nicht nur das Atomium, sondern auch eine stattliche Anzahl von Holzhütten befanden, zwischen denen sich Menschen in einfacher Stoffkleidung bewegten. Matt war mittlerweile lange genug in dieser Welt, um die Zeichen des Wohlstands zu erkennen. Die außerhalb der Umzäunung liegenden Frekkeuscher-Stallungen waren voller Tiere. Mit Fellen beladene Andronen flogen über das Tal und fettleibige Händler boten ihre Waren entlang der Prozession und an Ständen vor dem Atomium an. Dem Dorf ging es gut.
    Matt lenkte den Frekkeuscher ins Tal hinab, vorbei an den Menschen, von denen einige aussahen, als lagerten sie bereits seit Tagen dort.
    Kranke und Verletzte ruhten unter notdürftig errichteten Zeltdächern, während die Angehörigen Karten spielten oder an kleinen selbstgebauten Altären zu ihren Göttern beteten. Langsam ritt Matt an ihnen vorbei, bis er das Tor erreichte. Zwei Wachleute, die sich auf Speere stützten, sahen ihm gelangweilt entgegen. Sie trugen dünne Kleidung aus grauem Stoff, keine Schuhe und auch keinen anderen Schutz. Matt schätzte, dass sie nicht sonderlich oft angegriffen wurden.
    »Verschwinde!«, rief ihm einer der beiden zu, als Matt in Hörweite gekommen war. »Fremde werden nicht geheilt!«
    »Ihr lügt!«, schrie ein junger Mann zurück, dessen Arme notdürftig mit Ästen geschient waren. »Die Heiler helfen jedem, der zu ihnen kommt!«
    »Richtig«, bekräftigte eine ältere Frau, die neben ihm hockte. »Ihr wollt doch nur bestochen werden!« Sie sah Matt an. »Ich hoffe, du hast etwas Wertvolles dabei. Sonst ergeht es dir wie uns. Wir warten schon seit drei Tagen.«
    Matt runzelte die Stirn. »Wenn ihr nichts Wertvolles habt, warum wartet ihr dann noch?«
    »Manchmal zeigen sie Gnade und lassen ein paar von uns ein«, entgegnete sie schulterzuckend. »Und was sollten wir sonst tun? Mein Sohn hat sich bei der Jagd die Arme gebrochen. Der Schamane sagt, das wird nie wieder heilen. Aber wenn er nicht mehr jagen kann, wovon sollen wir leben? Deshalb warten wir.«
    Ihr Sohn senkte den Kopf.
    Matt rang sich ein verkrampftes Lächeln ab.
    »Sie lassen euch bestimmt bald ein«, sagte er, um ihnen ein wenig Hoffnung zu machen.
    Die beiden antworteten nicht.
    Matt wandte sich von ihnen ab und ritt weiter den Wachen entgegen. Die lösten sich aus ihrer gelangweilten Haltung. Ihre Speere streckten sich ihm drohend entgegen.
    »Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe?«, knurrte einer der Männer.
    Matt ignorierte ihn, zog den abgerissenen Lupaschädel aus einer Satteltasche hervor und hob ihn hoch.
    »Urk vom Volk der Waldjäger schickt mich«, sagte er im Kommandoton der Air Force. Also macht keinen Scheiß und lasst mich rein, fügte er in Gedanken hinzu. Ihr wollt euch doch wohl nicht mit einem Typen anlegen, der Wölfen die Köpfe abreißt.
    Das wollten die Wachen wohl wirklich nicht, denn ihre Augen weiteten sich beim Anblick des Schädels. Nur Sekunden später hatten sie das Tor geöffnet und winkten Matt hektisch ins Innere des Areals.
    ***
    Brüssel, 31. Dezember 2012
    »Wir werden sterben…«, murmelte Raoul.
    »Wir werden alle sterben…«
    Die Gruppe saß eng aneinander gekauert im Gemeinschaftsraum. Jeder von ihnen trug mehrere Hosen und Pullover übereinander.
    Decken hingen um ihre Schultern; die Finger steckten in dicken Handschuhen.
    Ein Notstromgerät vertrieb die größte Kälte, aber trotzdem spürten sie, wie der Tod ihnen mit
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher