015 - Zombie-Wahn
vor dem Büro des Polizeichefs war noch immer
verschwunden. Aus den kurzen Bemerkungen, die zwischen Chantale de Loire und
Victor Delacroix am Nebentisch gefallen waren, wußte X-RAY-3 zumindest, daß
Potte wegen eines unerfreulichen Erlebnisses auf dem alten Friedhof oder in
dessen Nähe sich auf den Weg gemacht hatte.
X-RAY-3 fuhr mit dem von ihnen in
Paris gemieteten Citroën den gleichen Weg. Anhand der Karte, mit der er sich
rasch vertraut gemacht hatte, fand er den Weg auf Anhieb.
Tiefe Reifenspuren auf dem
matschigen Pfad zeigten den Weg, den Chantale de Loire und offenbar auch Potte
gefahren waren. Brents geübtem Auge entging nicht, daß es sich um verschiedene
Reifenabdrücke handelte.
Oben auf dem Hügel angekommen, sah
er das Fahrzeug, das im Schatten der Friedhofsmauer abgestellt war.
Es handelte sich um Pottes
Fahrzeug.
Das Friedhofstor war noch
spaltbreit geöffnet, wie Chantale de Loire es zurückgelassen hatte.
Larry trug eine wetterfeste
Windjacke und einen Hut, um sich vor dem Regen zu schützen.
Der PSA-Agent warf einen flüchtigen
Blick in Pottes Auto. Niemand saß darin. Von dem Mann weit und breit keine
Spur.
X-RAY-3 blickte in die Runde.
Während des Fluges von New York nach Paris hatten Iwan und er sich mit den
Unterlagen über das mysteriöse Geschehen in dieser Umgebung vertraut machen
können. Bilder und Skizzen waren den Texten beigefügt gewesen, und so war er
mit der Umgebung sofort vertraut. Sie war ihm nicht fremd. Hier oben war das
Verbrechen passiert. Fünf junge Menschen wurden gleichzeitig ermordet. Wenn es
wirklich so war, mußte man davon ausgehen, daß auch mehr als ein Täter dafür
verantwortlich zu machen war.
Zumindest einer der Angefallenen
hätte noch die Möglichkeit gehabt zu reagieren oder die anderen zu warnen.
Aber von all diesen Dingen war
nicht die Rede gewesen. In Pottes Untersuchungsbericht war lediglich erwähnt
worden, daß die Toten von schrecklichen Fleischwunden geradezu übersät gewesen
waren.
Das Kommissariat in
Nogent-le-Rotrou, das federführend für diesen Fall war, hatte diese Angaben
leider nicht bestätigen können. Keiner der dort tätigen Beamten hatte auch nur
einen der Ermordeten zu sehen bekommen. Als die Leute aus Nogent-le-Rotrou in
Montmirail eintrafen, waren die Leichen schon verschwunden.
Pottes Beschreibung war von vielen
Stellen mit einiger Skepsis aufgenommen worden. Aber im stillen mußte Larry dem
ihm noch unbekannten Polizeichef recht geben. Das Erlebnis im ›Grand-Hotel‹
unterstützte Pottes Wahrnehmungen.
Auch Lovell wies zahlreiche tiefe
Fleischwunden auf, von denen noch niemand wußte, wie sie zustande gekommen
waren.
Unerklärliches ging hier vor.
Möglicherweise Übersinnliches. Angriff aus dem Unsichtbaren, aus dem Jenseits?
Welche Kraft oder Macht wütete auf solch rabiate Weise, daß jede Gegenwehr zu
spät kam?
Als X-RAY-3 das Friedhofstor
passierte, hörte er Schritte auf dem matschigen Boden.
Larry verbarg sich hinter dem Stamm
einer knorrigen Eiche, um zu sehen, wer da kam.
Er war so sehr auf die Gestalt vor
sich auf dem Weg fixiert, daß er den lautlosen Schatten, der hinter ihm
auftauchte, nicht bemerkte.
Die Gestalt aus dem Dunkeln hinter
ihm sah unheimlich und bedrohlich aus.
Die Kleidung, die nur aus einem
zerfetzten erdverkrusteten Totenhemd bestand, bedeckte kaum noch den
ausgemergelten, fast zum Skelett abgemagerten Körper.
Die dünnen Haare hingen strähnig
über Nacken und Ohren der unheimlichen Gestalt, das Gesicht war rissig und
verdörrt wie das einer Mumie. Die Sinnesorgane waren nur noch andeutungsweise
zu erkennen.
Hinter Larry Brent stand ein
Untoter, eine lebende Leiche, unfähig zu denken, nur einem makabren Instinkt
verhaftet – selbst zu töten, alles Leben, das er spürte, auszumerzen und zu
seinesgleichen zu machen. Denn jeder, der ihm zum Opfer fiel, wurde selbst zur
lebenden Leiche, stand auf – und tötete wie eine Maschine.
Die Hände des Zombie reckten sich
nach Brent, packten blitzschnell zu und legten sich wie Stahlklammern um die
Kehle des PSA-Agenten.
●
In dem Moment, als es zur Berührung
kam, ging es wie ein elektrischer Strom durch Brents Körper.
Larry sah den Angreifer nicht,
handelte aber sofort geistesgegenwärtig.
Er riß die Arme hoch, warf sich
ruckartig nach vorn und versuchte die Gestalt, die an ihm hing wie eine Klette,
über sich hinwegzuschleudern.
Der Geruch von feuchter Erde,
faulendem Laub und Verwesung stieg in seine Nase. Die
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