0152 - Der Gigant von Atlantis
der Zentrale erkannte man sie schon an der Stimme. »Geht in Ordnung, Mrs. Goldwyn, wir schicken Ihnen einen Wagen. Dauert vielleicht zwei Minuten.«
»Ich kann warten.«
Lady Sarah zog sich an. Sie schlüpfte wieder in ihren Mantel und nahm die dunkle Handtasche, ein Erbstück ihrer Mutter, das auch sie bestimmt noch überleben würde. Aus solch gutem Material war die Tasche hergestellt. So etwas gab es heutzutage nicht mehr zu kaufen.
Mrs. Goldwyn hatte den Mantel soeben zugeknöpft, als der Wagen vor ihrer Haustür hielt.
Rasch verließ Lady Sarah die Wohnung, durchquerte den kleinen Vorgarten und sah den Fahrer, der ihr bereitwillig die Tür offenhielt.
»Ah, Sie fahren mich heute, Ted?«
»Sehr wohl, Madam.« Ted schlug die Tür zu, nachdem sich Lady Sarah in den Fond gesetzt hatte. Sie kannte die meisten Fahrer persönlich. Schließlich war sie Stammkunde. »Wo soll’s denn hingehen?«
»Zu Scotland Yard.«
»Oh.« Der Fahrer drehte den Schlüssel. »Wollen Sie mal die berühmte Polizeianstalt besichtigen? Das kann man ja wohl am Wochenende, wie ich weiß.«
»So ungefähr.«
»Dann viel Vergnügen.«
Als der Fahrer startete, setzte sich gleichzeitig ein anderer Wagen in Bewegung.
Es war ein Japaner, ein weinroter Toyota. Dieser Wagen nahm die Verfolgung des Taxis auf.
Lady Sarah wohnte in Mayfair, dort, wo London noch seine alte Atmosphäre aufwies. Die hohen, vornehmen Häuser, die alten Villen in den kleinen Parks, ruhige Straßen, viel Baumbestand. Hier ließ es sich leben.
Sie fuhren in Richtung Hyde Park Corner, wo der Hyde Park und der Green Park praktisch zusammenliefen. Letzteren durchquerten sie auf der Wellington Constitution Hill und sahen links den Buckingham Palace liegen. Den passierten sie und bogen in die Buckingham Palace Road ein, die an der Victoria Station vorbeiführt. Aber so weit brauchten sie nicht. Vorher bogen sie schon in die Victoria Street ein, in der das Gebäude von New Scotland Yard liegt.
Der Toyota blieb immer hinter ihnen.
Mal ließ er drei oder vier Fahrzeuge dazwischen, dann nickte er wieder näher auf. Aber der Fahrer des Wagens ließ das Taxi nie aus den Augen.
Nicht umsonst beschäftigte sich Lady Sarah Goldwyn mit allem, was nach Horror und Kriminalistik roch. Sie war auch eine große Anhängerin der Krimifigur Miss Marple. Und was der aufgefallen wäre, fiel Lady Sarah ebenfalls auf. Sie wurden verfolgt.
Mrs. Goldwyn wollte den Fahrer nicht nervös machen, deshalb schwieg sie. Der merkte auch nichts, sondern erzählte von seiner Familie, er hatte nämlich vor wenigen Monaten Nachwuchs bekommen. Lady Sarah gab hin und wieder eine kurze Antwort, während sie aber den Wagen nicht aus den Augen ließ. Der Toyota blieb dran.
Mrs. Goldwyn fragte sich, wer wohl hinter dem Lenkrad saß. So sehr sie sich auch anstrengte, den Fahrer erkannte sie nicht, weil der Wagen getönte Scheiben hatte.
Das ärgerte die Lady, doch sie konnte sich ausrechnen, wer der Verfolger war.
Bestimmt der Kerl mit dem Nashornschädel. Andererseits war es für ihn gefährlich, sich so offen zu zeigen, deshalb wollte die Lady nicht so recht daran glauben. Sie war aber gespannt, wie es weiterging.
Wenn der Mann etwas von ihr wollte, dann mußte er es noch vor dem Yard Building versuchen, denn wenn sie erst einmal bei Scotland Yard war, dann befand sie sich in Sicherheit. So dachte die Lady schon ganz richtig. Aber sie hatte die Kraft des Bösen unterschätzt. Das Gebäude von New Scotland Yard befand sich bereits in Sichtweite, als das Taxi ausgerechnet jetzt in einen kleinen Verkehrsstau geriet. So lange war es gutgegangen. Der Fahrer schimpfte.
Lady Sarah aber zog daraus ihre Konsequenzen. »Ich könnte ja den Rest der Strecke zu Fuß gehen«, schlug sie vor.
»Wenn Sie wollen, Mrs. Goldwyn.«
»Sicher. Was habe ich zu zahlen?« Ted nannte den Preis.
Bei ihm handelte die Lady nicht. Im Gegenteil, sie legte noch ein gutes Trinkgeld hinzu und sagte: »Kaufen Sie Ihrem Kleinen etwas.«
»Danke, werde ich machen.«
Bevor Mrs. Goldwyn ausstieg, warf sie noch einen Blick durch die Heckscheibe.
Die Schnauze des Toyota befand sich dicht hinter dem Taxi. Fast schien es, als würde seine vordere Stoßstange die hintere des Taxis berühren. Jetzt konnte die Lady auch den Fahrer erkennen. Er war ein dunkelhäutiger Typ mit einem dichten Schnauzbart und schwarzen Haaren. Mehr jedoch sah sie nicht. Rasch stieg sie aus.
Lady Sarah lächelte, als sie bemerkte, wie überrascht der Kerl
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