0155 - Gefangen im Horror-Haus
ihre Waffen gegen das schreiende Wesen richteten. Dabei schienen ihre Augen aus ihren Höhlen quellen zu wollen. Die Todesangst, die mörderische Panik knüppelten ihre Vernunft nieder und verhinderten ihre Flucht. Sie blieben hier, in der wahnsinnigen Annahme, mit Pistolen gegen dieses Wesen etwas ausrichten zu können.
Denn Horvath war nicht mehr Horvath. Er war ein brüllender alter Mann, gekleidet in ein zerfetztes, bodenlanges Gewand. Seine Füße waren nackt und schmutzig. Er erschien, als würde er nicht von dieser Welt stammen.
Und jetzt streckte er den Mördern die Hände entgegen. Deutlich sahen sie die tödliche Wunde an seiner Brust. Sie warteten nicht mehr länger, drückten ab.
Sie mußten getroffen haben. Alle waren sie hervorragende Schützen. Dennoch reagierte der Alte nicht. Er brüllte wie ein Urtier und krallte die Hände zusammen. Gleichzeitig spürten die fünf Männer unsichtbare Krallen an ihren Hälsen. Sie ließen die Waffen fallen, griffen sich an die Kehle und wollten die unsichtbaren Hände wegreißen.
Es ging nicht. Sie wurden gewürgt und ertasteten trotzdem nichts.
Ächzend brachen sie in die Knie.
Danach verlor der Magier den Halt. Der furchtbare Schrei riß ab. Der Alte fiel vornüber vom Dach des Schrottwagens, klatschte auf den nackten Asphalt und war wieder Lee Horvath. Sein Blick war leer und gebrochen, und die Hände schienen sich noch immer um etwas zu krallen.
***
Nicole Duval sah nicht auf, als Butler Bois eintrat. Sie glaubte, Zamorra wäre es.
»Du wirst es nicht glauben, Chef, aber ich habe mich bereits entschlossen, was ich mitnehme. Was sagst du dazu?«
Bois räusperte sich leicht verlegen.
»Pardon, ich bin es, Raffael Bois! Mademoiselle, ich wollte Ihnen beim Packen behilflich sein.«
Ihr Kopf flog herum. Nicole lachte hell.
»Aha, Sie sind es! Ich dachte, Sie würden damit beschäftigt sein, den Flughafen anzurufen und die Reise zu buchen.«
»Welche Reise? Der Professor hat mich nicht informiert.«
»Nicht informiert?« Nicole Duval ließ das Kleid sinken, das sie eben noch bewundert hatte. Sie vergaß es völlig. Eine steile Falte erschien auf ihrer Stirn.
Da ist etwas passiert! dachte sie sofort.
Aber nein! beruhigte sie sich. Was soll ihm denn hier schon zustoßen? Aber vielleicht ist ihm übel geworden und er…
Nicole hängte das Kleid weg und schob sich an dem Butler vorbei. Sie eilte zum Arbeitszimmer des Professors.
Zamorra war nicht da!
Sie rief seinen Namen, eilte durch das ganze Haus.
Zamorra war unauffindbar!
Und als sie sah, daß auch kein Wagen fehlte, wußte sie, daß ihr erster Eindruck richtig war: Professor Zamorra war spurlos verschwunden, als hätte er sich in Luft aufgelöst.
Gemeinsam mit dem Butler betrat sie noch einmal das Arbeitszimmer, wo sie Zamorra zum letzten Mal gesehen hatte. Sie standen genau an der Stelle, an der sich das Tor nach Zartas geöffnet hatte, und sie merkten es irgendwie. Da war eine Reststrahlung, ein Hauch von Magie. Nicht unangenehm und nicht angenehm. Es war einfach da, und mit jeder Sekunde nahm die Strahlung ab. Bis sie ganz verschwunden war.
Nicole Duval spürte die Panik in ihrem Innern aufwallen.
»Zamorra!« rief sie.
Da gab es keine Antwort.
Hilflos blickte sie Bois an. Der Butler war kreidebleich. Er erwiderte den Blick. Einen Rat wußte auch er nicht.
***
Gor führte das Ritual mit einer Routine durch, als hätte er jahrelang nichts anderes getan. Zamorra, der Parapsychologe, beobachtete ihn dabei und empfand Bewunderung. Auf einmal stieg sein Optimismus. Vielleicht war es doch nicht so verkehrt, wenn er gemeinsam mit Gor nach London ging?
Aber Zamorra dachte auch an sein Amulett. Er würde es vermissen. Dabei halte er noch nicht einmal Zeit, die Silberscheibe nachzuholen. Sie mußten rasch handeln, einmal in London angekommen. Das Böse hatte sich dort im Verlauf der letzten Jahre mehr und mehr manifestiert. Unsichtbar ging es vor, wie das schleichende Gift. Und jetzt kam es auf Stunden an - vielleicht sogar auf Minuten. Die Ereignisse begannen sich zu überstürzen, seit Lee Horvath Zamorra angerufen hatte. Die böse Macht gab ihre relative Passivität auf und wehrte sich gegen einen Feind.
Gefährlich für Zartas, das dadurch zwischen die Fronten geriet, so lange sich diese Dimension nicht genügend gefestigt hatte.
Aus dem Körper Gars schien grauer Nebel zu kriechen. Gewiß eine Täuschung. Der Nebel driftete auf den Schmuckberg zu, wallte stärker, begann sich zu formen.
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