0158 - Der Spiegel-Dämon
redete der andere, und Sheila hörte zu.
Johnny aber schlich weiter. Die Stimme trieb ihn voran. Mach es wie im Traum. Du weißt es doch…
Der Kleine nickte. Er änderte die Haltung seiner Hände, nahm sie hinter dem Rücken hervor, und wieder blitzte die Klinge des Küchenmessers auf. Der Stahl schimmerte leicht bläulich, deutlich war die Säge an der unteren Kante des Messers zu erkennen.
Sheila war ahnungslos.
Sie stand dort und telefonierte.
Wie Johnny es in seinem Traum gesehen hatte. Und nicht nur im Traum. Auch schon vorher…
Wenn seine Mutter nicht mehr war, dann würde er auf seinen Vater warten…
Johnny hob die rechte Hand. Sehr fest umschloß seine rechte Faust den Griff.
»Nein, das kann ich nicht«, sagte Sheila in diesem Augenblick. »Wirklich, das ist nicht möglich. Sie müssen verstehen…« Sie regte sich auf und ging einen kleinen Schritt zur Seite.
Ein Erwachsener hätte sie trotzdem getroffen. Doch Johnnys Arme waren nicht lang genug. Die Klinge ratschte in Sheilas Rock, durchtrennte den Stoff, den Strumpf, und riß eine Schramme in ihren Oberschenkel.
Im ersten Moment war Sheila so überrascht, daß ihr der Hörer aus der Hand rutschte und auf die Gabel fiel. Dann drehte sie sich um.
Johnny stach zum zweitenmal zu. Ein Schritt zurück brachte Sheila in Sicherheit.
Der Kleine konnte seinen eigenen Schwung nicht mehr bremsen und fiel hin. Mit dem Messer stach er dabei in den Teppich, wo die Klinge sich bog, jedoch nicht abbrach.
Zwei Sekunden stand Sheila Conolly unbeweglich auf dem Fleck. Sie konnte es nicht fassen, daß ihr eigener Sohn sie mit einem Küchenmesser angegriffen hatte.
Das war absurd, das war irre — und gefährlich…
Ihre nächsten Reaktionen folgten automatisch. Sie bückte sich und entwand Johnny das Messer. Angeekelt warf sie es weg und spürte erst jetzt die Schmerzen.
Eine Flamme schien über ihren Oberschenkel geglitten zu sein, so sehr brannte er. Feucht rann das Blut an ihrem Bein herab. Sheila wurde kalkweiß, schaute auf ihren Sohn, der soeben aufstand, und flüsterte nur:
»Johnny…«
Der Kleine schaute sie an.
Er lächelte. Lächelte, als wäre nichts gewesen. »Hi, Mummy«, sagte er leise.
Sheila schluckte. Sie wischte sich über die Augen, die plötzlich feucht geworden waren. Was da passiert war, konnte man als so unglaublich bezeichnen, daß man dafür keine anderen Worte mehr fand.
Sheila drehte nicht durch.
Eine andere Frau hätte vielleicht angefangen zu schreien. Obwohl Sheila danach war, beherrschte sie sich. Sie schlug ihren Sohn nicht und bekam auch keinen hysterischen Anfall.
Sie schaute ihn nur an.
»Mummy, willst du nichts mehr essen?«
»Doch, doch.« Sheilas Antwort klang flach. Sie hörte die Worte selbst nicht so richtig, denn in ihrem Kopf wirbelten tausend Gedanken durcheinander.
Sheila war in gewisser Hinsicht keine normale Frau. Sie war mit Bill Conolly verheiratet, und beide besaßen einen guten Freund namens John Sinclair. Der Geisterjäger hatte sie schon des öfteren in gefährliche Fälle mit hineingezogen.
Sheila wußte von Dämonenreichen, und sie wußte auch davon, daß die Dämonen in das menschliche Leben eingriffen. Sie versuchten alle Tricks, nahmen auf niemanden Rücksicht, auch nicht auf Kinder. Erst vor einigen Wochen hatten die Conollys erlebt, daß Johnny der Mittelpunkt eines teuflischen Spiels gewesen war, als es um Destero, den Dämonenhenker ging und Asmodina das Haus der Conollys in eine andere Dimension entführte. [1]
Nun, sie hatten den Fall glücklich überstanden, aber jetzt sah es ganz danach aus, als wären die Feinde abermals dabei, einen neuen Angriff zu starten.
Und wieder war Johnny der Mittelpunkt.
Sheila zuckte zusammen, als Johnny auf sie zulief und ihr Bein umklammerte.
Jetzt spürte sie die Schmerzen, und sie mußte sich selbst hart an die Kandare nehmen, um nicht aufzuschreien.
Sie drückte Johnny von sich und ging mit dem Kleinen ins Bad, wo sie den Rock auszog und auch die Strumpfhose.
Endlich sah sie die Wunde.
Sie war zum Glück nicht tief, aber etwa so groß wie ihre Hand. Zwei rote Streifen liefen über ihr Bein.
»Mummy, was hast du denn?« fragte der Kleine und schaute auf das Blut. »Hast du dir weh getan?«
Sheila schluckte und lächelte etwas verzerrt. »Ja, ich habe mir weh getan.«
»Ist es schlimm?«
»Nein, mein Schatz, es ist nicht schlimm.«
Sheila beherrschte sich nur unter großen Mühen. Ihr Sohn sprach, als wäre überhaupt nichts geschehen.
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