0159 - Der Engel, der ein Teufel war
sehen. Einsam, wie ausgestorben, lag die düstere schmale Straße im Regen. Nicht mal Laternen gab es hier. Es war wirklich eine Gegend, die nicht salonfähig war, aber Benny war in diesem Augenblick fest entschlossen, hier herauszukommen.
Er wollte leben. Und zwar anständig leben. Gott, er war doch kein Stück Abfall, das man in diesem Slum einpferchte. Er hatte noch nie so richtig darüber nachgedacht, aber heute abend war so vieles passiert…
Er stellte den VW am Straßenrand ab, und deutete mit dem Kopf zu einem schmalbrüstigen Haus hinüber. »Komm«, sagte er rauh. »Ich verspreche dir, daß ich mich wie ein vollendeter Gentleman benehme.«
Sie warf ihm einen Blick aus ihren sanften Rehaugen zu, und er kam sich dumm vor.
Sie stiegen wortlos aus, er schloß ab, dann rannten sie durch den Regen zum Hauseingang hinüber, der seitwärts lag. Es gab einen kleinen Hof, auf dem tagsüber die Kinder spielten und lärmten.
Benny hatte den Schlüssel bereits aus der Tasche gekramt.
Wieder verspürte er die Furcht, die in ihm nagte und wühlte, und wieder ignorierte er sie.
Die Tür schwang auf. Ein Schwall dumpfer Luft fächelte ihnen entgegen, denn es war ein sehr altes Haus, dessen Wände stets feucht waren. Der Vermieter ließ es bewußt verfallen und verkommen, denn in zwei oder drei Jahren wollte er hier einen modernen Wohnsilo hinstellen.
»Du hast mir nie erzählt, wie du wohnst«, hauchte sie; die trostlose Umgebung schien sie von den anderen, den schlimmeren Gedanken abzulenken, und das war Benny Lawner gerade recht. Sie mußte abschalten, sonst… Er wagte nicht, den Gedanken zu Ende zu denken.
»Ich hab’ mich geschämt«, meinte er leise. »Ich hab’ es bis jetzt noch zu nicht viel gebracht.«
»Aber du bist doch erst 25.«
»Da hatte Rockefeller schon seine erste Million zusammen.«
»Ich will keinen Rockefeller. Ich will dich, Benny.«
Er legte seinen Arm um sie und zog sie an sich. So gingen sie die enge Treppe hinauf. Benny glaubte wieder, bohrende Blicke aus dem Nichts heraus auf sich gerichtet zu spüren.
Ruckartig drehte er sich um.
Nichts.
Er unterdrückte einen Fluch. Nicht mal eine Flur- oder Treppenhausbeleuchtung gab es in diesem Shit-Haus!
»Was –«
Weiter kam Jenny Moreno nicht.
Eine eisige Aura stülpte sich plötzlich über sie, ließ sie erstarren, dann waren huschende, schattenhafte Bewegungen um sie, ein bösartiges, triumphierendes Kichern.
Benny schrie wie ein Irrer, die Angst in ihm explodierte, der Schrei hallte wider, und er wußte im gleichen Augenblick, daß sich niemand darum kümmern würde. In diesem Haus war sich jeder nur selbst der Nächste.
Ein Schlag traf ihn, ließ ihn in die Knie brechen und rücklings die harten, ausgetretenen Treppenstufen hinunterfallen, Jenny wimmerte und fühlte sich gegen die Wand gepreßt.
»Rede!« krächzte eine Stimme, die unmöglich einem Menschen gehören konnte.
Verwesungsgestank schlug ihr entgegen. Ein eiserner Griff legte sich um ihr schmales Handgelenk und zerrte daran, eine haarige Klauenhand preßte sich auf ihren Mund. Jenny Morenos Gegenwehr erlahmte.
Benny Lawner befürchtete das Schlimmste. Die Welt um ihn herum drehte sich, aber er sah, was ein paar Stufen höher passierte, bekam es erschreckend deutlich mit. Dann hörte sein Sturz auf, er schlug sich den Schädel irgendwo an und fluchte verbittert, das Blut rauschte in seinen Schläfen, sein Herz hämmerte wie irrsinnig geworden. Er rappelte sich auf, denn Jennys Keuchen ließ ihn alle Angst und Vorsicht vergessen.
Seine Blicke bohrten sich in die wattige Dunkelheit.
Und da sah er die Angreifer!
Der Anblick ließ ihm das Blut in den Adern gerinnen!
***
Es war eine Art Trance.
Ich bekam alles mit, war nie voll abgetreten, allerdings aber auch nie voll da. Es war hart. Die körperliche und geistige Nähe der Hexe Lavinia war mir allgegenwärtig und siedendheiß bewußt, und ich knobelte mir aus, daß es diese doppelte Nähe war, die aus mir einen Gefangenen meines eigenen Körpers machte.
Schweigend fuhren wir durch die regnerische Nacht. Das Gewitter war hinter uns losgebrochen, der Himmel wurde immer wieder von gleißenden Blitzen gespalten, und die Donnerschläge schienen den Weltuntergang wie mit Paukenschlägen anzukündigen.
Sogar an den widerwärtigen Gestank des Untoten hatte ich mich gewöhnt.
Und noch etwas. Ich spürte, daß ich wieder klarer denken konnte, daß der schlimmste Druck aus meinem Schädel gewichen war.
Allerdings
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