016 - Die Schlangenköpfe des Dr Gorgo
hinzu, und Sarah begriff nicht, wie sie diese Bemerkung
einordnen sollte. »In diesem Zusammenhang fällt mir etwas ein, Sarah«, fuhr
Gorgo fort. Seine Stimme klang wieder kalt und gefühllos. Dieser Mensch kannte
keine inneren Regungen mehr. Sein ungeheuerliches, grausiges Werk musste
jegliche Empfindungsfähigkeit in ihm getötet haben. »Ihre Mutter, Gay, liebt
doch Überraschungen, nicht wahr ?«
Die Angesprochene war von dieser Frage so verblüfft, dass ihr die
Erwiderung erst bewusst wurde, als sie bereits Ja gesagt hatte.
Schon bei dem vorangegangenen Gespräch vor der eigentlichen
Operation hatte Dr. Gorgo eine erstaunliche Kenntnis der Eigenart und persönlichen
Wesenszüge von Mrs. Gay Malcolm bewiesen.
»Wenn sie einen Brief bekam, dann ließ sie ihn oft stundenlang
liegen, nur um die Freude hinauszuzögern, stimmt es ?« fuhr Gorgo unbeirrt fort. »Und ganz vernarrt war sie, wenn überraschend von der
Post ein Päckchen gebracht wurde. Auch die Geschenke, die sie oft nach der
Vorstellung von Verehrern erhielt, erfreuten sie. Geschenke und Pakete
auspacken - das ist schon von jeher Gays Lieblingsbeschäftigung gewesen. Ich
kann mir nicht vorstellen, dass sie diese Angewohnheit abgelegt hat .«
»Nein, das hat sie nicht, das ist wahr .« Sarah Malcolm sagte diese Worte mehr im Selbstgespräch
vor sich hin. Sekundenlang hatte sie vergessen, in welcher Lage sie sich befand
und was mit ihr geschehen war. Die unheimliche Gestalt des Dr. Gorgo wurde ihr
immer rätselhafter.
Kichernd löste Gorgo sein verzerrtes Gesicht von der Glasscheibe
und ging einige Schritte zurück. Der weiße Kittel spannte sich über der
Verwachsung. Wie ein Gnom stand Gorgo zwischen Aquarium und Operationstisch.
Eine Flut von Gedanken erfüllte das Gehirn des frisch operierten Mädchens.
Sarah begriff erst jetzt, als Gorgo den Operationstisch auf vier kleinen Rollen
davonschob, welche Auswirkung das furchtbare Geschehen eigentlich auf sie
hatte. Ungeheure Angst, Resignation und Grauen erfüllten sie
...
Schlangenköpfe, die dem ihren glichen! Leise Stimmen, die sie
ständig umgaben, ein Wispern und Flüstern, niemals allein ...
Unter dem Druck der Gedanken und Gefühle verkrampften sich die
Tentakel. Unbewusst tauchte in ihrem Gehirn etwas auf, das sie daran erinnerte,
wie es gewesen war, wenn man die Luft durch die Nase stieß. Aber sie entnahm
jetzt den lebenswichtigen Sauerstoff direkt der Nährlösung, unbewusst,
vegetativ ... Der Sauerstoff gelangte durch die Saugnäpfe direkt in ihr Blut.
Blut? Sie hatte gar keines mehr. Es war durch die grüne Ersatzlösung ausgetauscht
worden. Ein grüner Saft floss durch die wenigen Adern, die ihr noch geblieben
waren und erhielten ihr Gehirn, aus dem ihr Körper
noch bestand, am Leben.
Wozu?
Mit brennenden Augen starrte sie der entschwindenden Gestalt nach,
die dieses Furchtbare aus einem unerfindlichen Grund heraufbeschworen hatte.
Dr.
Gorgo, der unheimliche Arzt!
Dort stand er an der Türschwelle und warf einen Blick zurück auf
das riesige Aquarium, in dem die Schlangenköpfe schwammen und sich wispernd
unterhielten. Es war nur eine Bewegung der Lippen, ein Hervorpressen von
Lauten.
Gorgo hob die rechte Hand. Unmittelbar unter dem Lichtschalter
befand sich ein zweiter Knopf.
»Bevor ich jetzt gehe, um für Ihre Mutter ein Paket vorzubereiten,
Sarah«, sagte er laut und deutlich, dass es durch den kahlen, schmucklosen Raum
hallte, »will ich auch für Sie einen Gefallen tun. Junge Frauen betrachten sich
oft und gern im Spiegel, um Ihre Schönheit zu bewundern, nicht wahr? Es ist
eine typisch weibliche Eigenschaft. Dabei sind Frauen gar nicht so schön. Man muss
sie nur mit den richtigen Augen sehen - und mit diesen Augen, mit Ihren
eigenen, Sarah - werden Sie sich jetzt selbst sehen .«
Ein Druck auf den Knopf. Die dem Aquarium gegenüberliegende
Wandseite bewegte sich. Eine dünne Plastikfläche schob sich wie ein Vorhang
zurück und gab einen riesigen, über die ganze Wand reichenden Spiegel frei.
Darin sah man das Aquarium - und die sechs lebenden Köpfe ...
Kristallklar zeichnete sich das Spiegelbild von ihr ab. Sie
starrte fasziniert, gebannt und wie hypnotisiert darauf.
Der satanische Dr. Gorgo! Er war nicht nur ein teuflisch-genialer
Chirurg, sondern auch ein ebenso guter Kenner der menschlichen Psyche.
Der Bucklige wusste, wie er die Qualen ins Unerträgliche steigern
konnte. Und Sarah Malcolm begriff, wie ihre Zukunft aussah.
Eine Frau betrachtete ihren Körper
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