016 - Frascati mal zwei
ausgebüchst!«
Jackson Chan, der kein einziges Wort verstanden hatte, war unwillkürlich zurückgezuckt, als Roberto Lasso, Felicitas’ von Volpone angestellter Leibveterinär, die Spritze gehoben hatte. Er misstraute Leuten, die andere Leute stechen wollten – womit auch immer – zutiefst. Einen Moment stand er bewegungslos da und überlegte, was der andere von ihm wollte und wie er reagieren sollte. Da er erkannte, dass der Dicke ihn wohl ebenfalls für einen Mitarbeiter von MAFIA hielt, der sich hier völlig zu Recht aufhielt, beschloss er, einfach den Dummen zu spielen. Er machte ein entsprechendes Gesicht, was ihm nicht schwer fiel und schüttelte den Kopf.
»Ah«, erkannte Roberto Lasso, »du blabla nix Italienisch? Du Gastarbeiter? Ich suchen Katze! Miauuu! Katze!«
Nun verstand Chan, dass der kleine Dicke, der in diesem Moment ein Taschentuch hervorzog und sich den Schweiß von der Stirn wischte, hinter der Katze her zu sein schien. Er deutete fragend auf die Spritze.
Lasso nickte heftig. »Für Miau! Gegen Würmer!« Er machte eine, wie er meinte, sich ringelnde Wurmbewegung mit dem Zeigefinger. Chan ballte seine Rechte zur Faust und erhob sie drohend. Lasso wich erschrocken zurück. »Aber nein, nix verstehen! Nur für Katze! Miau! Wo Katze?«
Da der Dicke seine Worte mit entsprechenden Gesten untermalt hatte, hatte Chan ihren Sinn erfasst. Er deutete den Gang hinunter, in eine Richtung, die Felicitas aller Wahrscheinlichkeit nach nicht eingeschlagen hatte.
»Vielen Dank!« Lasso hob den Arm mit der Spritze zu einem Gruß und prustete dann in die von Chan angezeigte Richtung davon. Es dauerte nicht lange, bis er um eine Kurve verschwand.
Jackson Chan atmete auf. Die erste Begegnung mit einem Mitarbeiter von MAFIA war erheblich glimpflicher verlaufen, als er befürchtet hatte. Doch wie sollte er weiter vorgehen? Einige Minuten blieb er überlegend an Ort und Stelle stehen, dann fasste er einen Entschluss. Er befand sich nach wie vor auf derjenigen Ebene, auf der der Schweberhangar lag. Ein so wichtiger Gefangener wie Lino Frascati, Konzernchef von Mechanics Inc., würde wohl in einem Hochsicherheitsbereich untergebracht werden – und solche Bereiche befanden sich in aller Regel in den Untergeschossen der Konzernzentralen und waren meist auch noch bunkermäßig abgesichert.
Er musste also nach unten.
Der Asiate erinnerte sich, an mehreren Aufzügen vorbeigekommen zu sein und beschloss, einen davon zu benutzen, solange dies noch relativ gefahrlos möglich war. Wenn erst der Morgen dämmerte, würden sich die Gänge gewiss rasch beleben.
Er ging also einige hundert Meter zurück, bis er einen Aufzug entdeckte und drückte auf den Rufknopf. Sofort zeigte ein Signal an, dass die Kabine sich in Bewegung setzte. Als sie auf seiner Ebene anhielt, vergrub der Überlebensspezialist seine Hand wieder in der Tasche mit der Pistole und spannte sich. Doch die Kabine war leer. Er trat ein, musterte kurz das Bedienungspaneel und drückte dann auf den untersten Knopf. Doch statt dass sich die Türen schlossen und der Lift sich in Bewegung setzte, ertönte die freundliche Stimme einer Dame, die etwas in perfektem Italienisch sagte. Chan drückte auf einen anderen Knopf, zwei Etagen oberhalb des zuerst gewählten. Erneut geschah nichts weiter, als dass die Dame ihn auf etwas hinwies oder ihm eine Frage stellte. Schweißtropfen bildeten sich auf der Stirn des Überlebensspezialisten. Es gehörte nicht allzu viel Phantasie dazu um zu erkennen, dass er für die untersten Geschosse seine Berechtigung nachweisen sollte, diese zu betreten. Nach kurzem Zögern versuchte er es erneut, abermals zwei Stockwerke höher.
Diesmal hatte die freundliche, aber bestimmte Dame keine Einwände. Die Türen der Kabine schlossen sich und die Fahrt in den Untergrund begann.
5.
Lino Frascati – genauer gesagt: das von MAFIA neu erzeugte Frascati-Double, das sich nach wie vor als der einzige Frascati wähnte – saß alleine im Passagierbereich seines Luxusjets und starrte hinaus in die Dunkelheit. In dem Maße, wie sich der Jet mit mehrfacher Schallgeschwindigkeit in Richtung Westen bewegte, brach dort die Abenddämmerung an. Der Zeitunterschied zwischen Neapel und Detroit betrug sechs Stunden, die der Konzernchef damit ›gewann‹ – wenn er auf der Piste seiner Villa am Ufer des Erie-Sees landete, würde es dort Abend sein, kurz nach Sonnenuntergang. Seine Abwesenheit hatte somit nur etwa zwanzig Stunden gedauert, doch
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