0160 - Zuletzt wimmern sie alle
Etage hinauf. Auf jedem Etagenflur brannte eine Glühbirne von der schwächsten Garnitur, nur ein Vorwand für die Hausbesitzer, damit sie an der sogenannten Stromrechnung für das Hauslicht noch einmal verdienen konnten.
Die Wohnung der Ollegans lag auf der linken Seite. Ich drückte den Klingelknopf und wartete.
Schritte schlurften von innen zur Tür. Eine Kette klirrte, dann wurde die Tür geöffnet. Eine abgearbeitete, verhärmte Frau stand auf der Schwelle. Sie sah mich mißtrauisch an.
»Mrs. Ollegan?« fragte ich.
»Ja. Wollen Sie zur mir?«
»Mein Name ist Cotton. Ich bin FBI-Beamter. Kann ich Sie ein paar Minuten sprechen?«
Sie fuhr zusammen, als sie FBI hörte. Umständlich wischte sie sich die Hände an dem bunten Kittel ab, den sie trug, dann trat sie zurück und sagte: »Kommen Sie herein, Sir!«
Es lag nichts als Resignation in ihrer Stimme.
Sie führte mich in ein behaglich eingerichtetes Wohnzimmer. Über der großen Couch hing die Fotografie eines Mannes. Die Aufnahme war älteren Datums. Über die rechte untere Ecke war ein Trauerflor gespannt.
»Mein Mann«, sagte sie, als sie meinen Blick bemerkte.
Ich nickte schweigend. Sie rückte mir einen Stuhl zurecht und setzte sich selbst auf die Kante eines anderen. Es war, als hätte sie Angst, die Möbel zu sehr abzunutzen.
»Jack ist nicht hier, was?« fragte ich nebenbei.
Sie schüttelte den Kopf.
»Abends ist er nie zu Hause«, sagte sie bitter.
»Aber tagsüber?« fragte ich.
Sie nickte nur.
»Arbeitet er denn nicht?«
Sie seufzte. Ihr zerfälteltes Gesicht konnte einem nur eines einflößen: Mitleid.
»Selten«, sagte sie. »Manchmal nimmt er wieder eine Stellung an. Wohl auch nur, weil ich ihm zu lange in den Ohren lag damit. Aber er hält es nie länger als ein paar Tage aus. Der Junge ist mir über den Kopf gewachsen, Mister Cotton. Ich kann nicht dafür. Wenn mein Mann noch da wäre…«
Sie fuhr sich über die Augen.
»Also schleppen Sie ihn durch?«
Sie zuckte die Achseln.
»Er ist doch mein Junge…«
Ich sagte eine lange Weile nichts. Was hätte ich auch sagen sollen?
»Sie kommen sicher nur wegen Jackie, nicht wahr?« fragte sie schließlich. In ihrer Stimme lag ein Unterton von Angst.
»Hat - hat er etwas — verbrochen?«
Ich sah sie ernst an.
»Mrs. Ollegan, es tut mir sehr leid, daß ich Ihnen so etwas sagen muß, aber Sie würden es schon morgen früh aus den Zeitungen erfahren, wenn ich es Ihnen jetzt nicht sage: Ihr Sohn steht unter Mordverdacht. Er wird von uns verhaftet werden, sobald wir ihn irgendwo entdecken.«
Kein Muskel zuckte in ihrem Gesicht. Nur ihre Faust preßte sich krampfhaft auf ihr Herz. Eine Weile lag ein drückendes Schweigen im Raum. Dann sagte sie, und ihre Stimme war tonlos: »Ich habe immer gewußt, daß es einmal so kommen muß, Sir. Jack ist manchmal wie ein wildes Tier. Tun Sie mit ihm, was Sie tun müssen. Ich kann ihm nicht mehr helfen…«
Ich stand auf. Alles in mir sträubte sich dagegen, diese letzte Frage zu stellen. Aber ich bin ein G-man, ich muß meine Pflicht tun.
»Mrs. Ollegan«, sagte ich leise, »kann ich vielleicht - eine Fotografie von Ihrem Sohn haben?«
Sie fuhr auf. Ein leises Schluchzen ging durch ihren Körper. Sie wandte sich ab, nickte ein paarmal und ging zu einem Wandschrank.
In diesem Augenblick kam eine kalte, höhnische Stimme von der Tür her: »Los, gib ihm ein Bild von mir! Damit sie mich wie einen tollwütigen Hund auf ihren Steckbriefen hetzen können! Los, tu’s doch! Aber ich jage dir im selben Augenblick, wo du ihm das Bild gibst, eine Kugel in deine Rippen, du…«
Jack Ollegan stand in der offenen Tür zum Flur hin. In seiner rechten Hand hielt er einen matt schimmernden Revolver.
Und in seinen Augen stand, daß er abdrücken würde, innerhalb der nächsten fünf .Sekunden…
***
»Danke, ich bin da«, sagte Phil zu dem Fahrer des Taxis, das er sich genommen hatte. »Was muß ich zahlen?«
»Zwei Dollar fünfzehn, Sir«, sagte der Fahrer.
Phil gab ihm drei Dollarscheine und winkte ab, als der Fahrer herausgeben wollte. Er stieg aus und ging schnellen Schrittes zu meinem Jaguar.
Der Wagen war leer.
Phil sah sich um. Hinter dem Jaguar parkte eine lange Reihe von Fahrzeugen, die Phil sofort als FBI-Wagen erkannte. Aber weit und breit war kein G-man zu sehen.
Zuerst dachte Phil, daß irgend etwas im Park los sein könnte. Obgleich er den großen Einsatzwagen der Mordkommission gesehen hatte, konnte es im Park aber keinen Mord
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