017 - Invasion der Kyphorer
von UNO-Generalsekretärin Werkel nach Genf zu schalten.
»Pst!«, machte jemand. »Sie hat was zu sagen!«
»Das wäre das erste mal, dass die UNO was zu sagen hat«, ließ sich eine andere Stimme vernehmen und kicherte.
»Meine lieben Mitbürgerinnen und Mitbürger hier in der UNO-Zentrale und draußen im Lande, äh, auf der Erde und im Sonnensystem«, begann die Generalsekretärin, die diesen Posten noch nicht lange innehatte, nervös.
Vereinzeltes Gelächter ertönte im Pub.
»Pst!«, zischten mehrere Stimmen.
»Ich gehe davon aus, dass Sie alle die Bilder vom Mond gesehen und mit der gleichen Betroffenheit darauf reagiert haben wie ich selbst«, sagte die Generalsekretärin mit Grabesstimme und einer dazu passenden Miene und legte eine kurze Betroffenheitspause ein. »Lassen Sie mich zunächst die schreckliche Nachricht verkünden, dass uns von meinem Stellvertreter und langjährigen persönlichen Freund Ubutu seit der Vernichtung der Mondstation kein Lebenszeichen mehr erreicht hat. Wir müssen mit dem Schlimmsten rechnen …« Die Trauer erstickte offensichtlich ihre Stimme und sie musste erneut pausieren.
»Sie hat ihn gehasst wie die Pest und auf den Mond abgeschoben, weil sie Angst hatte, er könne es auf ihren Posten abgesehen haben«, rief jemand dazwischen.
»Pst!«
»Ach ja«, fuhr die Generalsekretärin schließlich fort, nachdem sie sich eine unsichtbare Träne mit ihrem Spitzentaschentuch abgewischt hatte. »Neben Ubutu sind noch genau 9427 Personen aus der Mondstation als vermisst gemeldet. Die Raumfähre PHAETON, die sich zum Zeitpunkt der Invasion zufällig abflugbereit auf dem Mond befand, hat mehr als tausend Flüchtlinge an Bord nehmen können. Leider wurde sie beim Beschuss der Invasorenbasis durch Atomraketen etwas in Mitleidenschaft gezogen, so dass wir zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sicher sagen können, wann sie die Erde erreichen wird.«
»Oder ob !«, versetzte ein weiterer Zwischenrufer.
Die Generalsekretärin straffte sich. »Lassen Sie mich im Moment nur so viel sagen: Es gibt keinerlei Grund zur Panik, ich habe, äh, wir haben alles im Griff, wie gewöhnlich! Sollte es tatsächlich zu einer Invasion der Erde durch die, äh, Kyphorer und Craahls kommen, muss das auch noch nicht das Schlimmste bedeuten, denn wie Sie wissen, hat die UNO eine mehr als hundert Jahre währende Erfahrung in der Bewältigung von Konflikten! Wenn ich in diesem Zusammenhang an die UN-Sicherheitszonen …«
» Unsicherheitszonen! «, rief jemand.
»… auf der Venus und dem Mars erinnern darf!« Die Generalsekretärin machte eine kurze rhetorische oder auch durch die Verlegenheit bedingte Pause, nach den richtigen Worten suchen zu müssen. Schließlich, nach einem tiefen Atemzug, fügte sie an: »Wie gesagt, es gibt keinen Grund zur Panik, die UNO hat alles im Griff und wir hoffen zuversichtlich, dass wir auch diese Krise meistern werden, ohne die Steuern allzu sehr erhöhen zu müssen …«
Schlagartig verstummten alle Gespräche im Pub.
»Sie wollen die Steuern erhöhen!«, schrie, eine Schrecksekunde später, eine sich überschlagende Stimme in die Stille.
Alle Farbe wich aus Joe Maguires eben noch leuchtend rotem Riechkolben – ebenso wie aus dem kärglichen Rest seines Gesichts und den Gesichtern aller übrigen Anwesenden.
Binnen Sekunden geschah das, was die UNO-Generalsekretärin mit ihrer Ansprache hatte verhindern wollen.
Panik!
Die Barbesucher sprangen auf, Stühle fielen um. Glas klirrte, als sich die von namenlosem Entsetzen getriebene Menschenmenge wie ein Mann dem viel zu schmalen Eingang des Pubs zuwandte und versuchte, vor Inkrafttreten der nächsten Steuererhöhung noch einmal die Familie wieder zu sehen und sei es nur, um Abschied zu nehmen. Als er sah, dass die Leute bei ihrem überstürzten Aufbruch allesamt die noch mehr oder weniger gefüllten Biergläser mitnahmen, versuchte Joe Maguire, sich ihnen in den Weg zu stellen – vergeblich.
Er wurde das erste – wenn auch indirekte – irdische Opfer der Invasion.
*
Sekunden später war alles vorüber. Leer und verlassen lag das, was ehedem Joe Maguire’s Pub gewesen war, der nun einem Trümmerfeld glich.
Leer und verlassen?
Nicht ganz! Denn die Zehnerschaft der hinten am Stammtisch feiernden Krisengewinnler hatte sich durch die Worte der UNO-Generalsekretärin nicht beeindrucken lassen. Einige von ihnen warfen lediglich einen besorgten Blick in Richtung Bar – als sie jedoch erkannten, dass die
Weitere Kostenlose Bücher