017 - Invasion der Kyphorer
gebildet hatte – Verrückte! , schoss es ihm durch den Kopf – und folgte dem Hauptstrom zur Tür, die in das Nottreppenhaus führte.
Wie lange braucht man, um achtundvierzig Stockwerke hinunter zu rennen? , fragte er sich, doch er wusste keine Antwort darauf.
Der Turm schwang immer noch. Auf der schwankenden Treppe rannte James MacPherson um sein Leben. Um ihn herum stolperten Männer und Frauen, die sich der Tatsache, dass sie unentwegt schrieen, gar nicht bewusst wurden. Unmittelbar vor ihm stürzte eine schwangere Frau zu Boden und MacPherson konnte gerade noch geistesgegenwärtig über sie hinweg springen.
Bloß hier nicht sterben! Mein Gott, lass mich bloß hier nicht sterben!
Beinahe sein ganzes Leben lang, seit er mit dem einsamen Tod seines Großvaters konfrontiert worden war, den man erst Tage, nachdem er mit seinem damals noch benzingetriebenen Automobil von einer Straße in den Highlands abgekommen war, gefunden hatte, hatte er mit der steten Furcht gelebt, alleine sterben zu müssen. Nachdem seine erste Ehe gescheitert war, hatte er kurz darauf erneut geheiratet, um dieser zwanghaften Vorstellung des schrecklichen, einsamen Sterbens zu entkommen.
Ohne es zu bemerken, stieß er ein heiseres Lachen aus. Die Gefahr, alleine zu sterben, bestand wohl kaum mehr – am wahrscheinlichsten war, dass er hier, inmitten der in Panik flüchtenden Menschenmenge, sein Leben aushauchen würde, wenn der Turm endgültig in sich zusammenbrach.
Versunken in diese Überlegungen hatte James MacPherson einen Sekundenbruchteil nicht auf den Weg geachtet. Er stolperte über ein Betonstück, das aus der Wand heraus gebrochen war und flog mehrere Meter weit durch die Luft, über die Köpfe der rennenden Menschen hinweg, bevor er schwer gegen den Boden des nächsten Treppenabsatzes krachte.
Etwas knackte in seinem Rücken und er sah, wie sich ein dunkler Fleck im Schritt seiner Hose ausbreitete.
Aber er spürte keine Nässe – und keine Schmerzen.
Mit dem Rücken an die Wand gelehnt, starrte er ungläubig auf seine Beine, über die Flüchtende sprangen, stolperten, auf sie traten.
Er spürte nichts.
»Hilfe!«, wollte er rufen, doch es wurde nur ein Flüstern daraus.
Er warf den Kopf hin und her, ballte die Hände zu Fäusten, doch seine Beine konnte er nicht mehr bewegen.
»Hilfe!«, gelang es ihm endlich auszustoßen, doch der Ruf ging in dem Stöhnen und Ächzen des schwankenden Turmes und den Schreien der flüchtenden Menschen unter.
Minuten lag er so da. Der Wolkenkratzer besaß zweiundfünfzig Stockwerke, nur vier über MacPhersons Arbeitsplatz, so dass der Strom der Flüchtenden bald versiegte.
Plötzlich war er allein.
Allein in dem Turm, der jeden Moment in sich zusammenbrechen konnte, allein mit seinen Gedanken – und allein mit dem Tod, der sich, wie MacPherson fühlen konnte, langsam, aber unerbittlich näherte.
»Nein«, wimmerte er und Tränen begannen, über sein Gesicht zu fließen. »Ich will nicht sterben, nicht hier, nicht auf diese Weise – nicht allein …«
Er wälzte sich herum. Wenn er seine Beine nicht mehr gebrauchen konnte, musste er eben die Arme einsetzen. Doch das war schwerer, als er gedacht hatte; auf dem von Staub und Betonteilen übersäten Treppenabsatz fanden seine Hände kaum Halt. Millimeterweise schob er sich voran und als er endlich die erste Stufe der nächsten Treppe erreichte, musste er vor Erschöpfung eine kurze Pause einlegen.
Er lauschte in sich hinein. Konnte es sein, dass die Lähmung, die bislang lediglich seinen Unterkörper umfasst hatte, sich weiter nach oben ausbreitete? Oder bildete er sich dies nur ein? Der dunkle Mantel der Panik begann, sich über seine Gedanken zu senken. Bloß nicht aufgeben und sterben! Er musste es nach unten schaffen, zu den Menschen …
Entschlossen packte er die Oberkante der Treppe und zog sich an den Armen voran. Wie ein Kind auf einer Rutschbahn robbte er mit dem Kopf voran die Treppe hinab. Ein auf den Stufen liegendes Trümmerstück verursachte eine heftig blutende Wunde an seiner Schläfe, doch er bemerkte es kaum. Nur weiter, weiter …
Am nächsten Absatz blieb er erschöpft und keuchend liegen. Eine große, rote Zahl prangte auf der Wand unter ihm. Zweiundvierzig.
Ein halbes Stockwerk hatte er geschafft – und es lagen noch vierundachtzig halbe Stockwerke vor ihm!
Erneut traten ihm Tränen in die Augen, als er die Sinnlosigkeit seines Vorhabens erkannte. Niemals würde er ohne fremde Hilfe bis nach unten
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