017 - Orungu - Fratze aus dem Dschungel
Blattwerk eine Bewegung wahrnahm.
»Philip«, sagte sie wie in Trance.
Ihre Stimme zitterte.
Sie wollte die Hand ausstrecken,
ihm zeigen, was sie sah. Aber Garcienne war bereits ihrem Blick gefolgt.
Eine Hand ragte zwischen dem
Blumenmeer hervor, wurde vom bleichen Licht des Mondes angestrahlt!
Die Finger bewegten sich, der
ganze Hügel geriet in Bewegung. Ein Kopf tauchte auf - der Schädel eines Verstorbenen!
●
Die nassen Blumen, die feuchte
Erde wurden zur Seite geworfen, als die Gestalt in dem verdreckten Totenhemd
aus dem Grab stieg.
Abgemagert, mit weicher, teigiger
Haut und dunklen, tiefliegenden Augen, in denen sich das fahle Mondlicht spiegelte,
schob sich der lebende Tote vollends aus der Gruft und schüttelte den letzten
Rest der Erde ab.
Er stand da wie eine
Geistererscheinung!
Lynne Mignon merkte, wie sich
alles in ihr verkrampfte, wie ihr Herzschlag stockte. Und dann schrie sie.
Markerschütternd hallte ihr Schrei durch die Nacht, fing sich in den winkligen
Grabsteinen und der Mauer und kehrte als Echo zurück. Und ihr eigener Schrei
schien zu einem langgezogenen höhnischen Lachen zu werden, das in ihre Ohren
zurückkehrte.
Philip Garcienne stöhnte dumpf.
Siedendheiß strömte es durch seine Adern, während sein Körper gleichzeitig von
Kälteschauern geschüttelt wurde.
Das ging über seinen Verstand!
Sekundenlang war er unfähig, sich zu rühren, hörte nur das Schreien von Lynne,
das nicht enden wollte, und dann schob sich die unheimliche Gestalt mit dem
abgemagerten Gesicht auch schon auf sie zu.
In diesem Augenblick erst gewann
Garcienne seine Fassung zurück. Wie eine Raubkatze warf er sich nach vorn. Seine
Rechte umklammerte den schweren Basaltstein. Der junge Mann stürzte sich auf
die knochige Gestalt, wurde im gleichen Augenblick von den Händen der
aufrechtstehenden Erscheinung gepackt und herumgeworfen, noch ehe er den
schweren Stein auf den Schädel des Unheimlichen schlagen konnte.
Garcienne fing sich. Aber die
überraschende Gegenwehr hatte zur Folge gehabt, dass der Stein ihm entfiel. Mit
bloßen Händen riss er den anderen herum.
Seine Augen traten ihm aus den
Höhlen, als er feststellen musste, dass plötzlich ein zweiter hinter ihm stand
und gierig seine Hände nach ihm ausstreckte.
Kalter Schweiß perlte auf
Garciennes Stirn, als er diesen zweiten Mann wahrnahm.
»Flieh, Lynne !« schrie er. Seine Stimme überschlug sich. Er warf den Kopf herum und wollte nach
dem Mädchen Ausschau halten. Aber der Mond verschwand hinter einem riesigen
Wolkenberg, und tiefe Schwärze umfing ihn.
Die Hände mit den langen
Fingernägeln kratzten über sein Gesicht, sie schlugen nach ihm, drückten ihn zu
Boden, wobei das Schicksal es nicht besonders gut mit ihm meinte. Mit dem
linken Bein verfing er sich in einem der Kränze und geriet ins Straucheln. Das
kam seinen beiden unheimlichen Widersachern zugute.
Sie stiegen aus den Gräbern!
Philipe Garciennes Atem flog. Er
hatte es mit eigenen Augen gesehen - und er konnte es nicht fassen. Er war
nicht in der Lage, darüber nachzudenken, weil er fürchtete, seinen
strapazierten Verstand endgültig zu verlieren.
Sie warfen sich über ihn. Mit
seltsam verrenkten Bewegungen schlugen sie auf ihn ein.
Von dem feuchten Boden verdreckt,
versuchte Garcienne sich dem Zugriff zu entwinden. Aber sie hielten ihn fest,
bohrten ihre langen Fingernägel in sein Fleisch, und die Verletzungen brannten
wie Feuer.
Garcienne kroch auf allen vieren
vorwärts. Sein Atem flog, und sein Herz schlug wie rasend.
Er bewegte sich auf das offene
Grab zu. Seine Rechte versank darin. Ehe er sich umdrehen konnte, um der
tödlichen Gefahr auszuweichen, rutschten seine Schultern schon nach. Er hörte,
wie die feuchte, schwere Erde an seiner Seite herabrutschte. Sein Kopf tauchte
in das Erdloch ein. Er roch die Erde und das Grab. Den Geruch des Todes.
Garcienne forderte das Letzte von
sich ab, um die beiden unheimlichen Männer, die sich seiner bemächtigt hatten,
abzuschütteln und loszuwerden. Aber die Kraft die sie entwickelten, war
ungeheuerlich. Oder täuschte er sich? War es seine eigene Furcht, die ihn
lahmte?
Er wusste es nicht. Er wusste nur
eines: Er war verloren. Er blutete aus zahlreichen Wunden, an Armen und Beinen
und im Gesicht. Das Blut sickerte in die dunkle, nach Tod riechende Erde.
Philip Garciennes Bewegungen erlahmten.
Sein Oberkörper rutschte vollends in das aufgebrochene Grab. Die beiden
lebenden Toten stemmten sich gegen ihn,
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