017 - Orungu - Fratze aus dem Dschungel
über einem
halben Jahr als Sekretärin in diesem Betrieb angefangen. Sie verdiente sehr
gut. Zu den zwei Arbeitern waren inzwischen drei kaufmännische Angestellte und
zehn weitere Arbeiter gekommen. Lynne Mignon erledigte im Augenblick noch die gesamte
Schreibarbeit, aber es stand schon jetzt fest, dass der
erfolgreiche Fabrikant über kurz oder lang eine zweite Schreibkraft
einstellen musste.
Philip Garcienne lächelte vor sich
hin. Er wusste, was seine Freunde und Bekannten dachten. Sie waren der Meinung,
dass Lynne nicht umsonst Überstunden machte. Das stimmte sogar. Sie wurde dafür
bezahlt. Und nicht so, wie, die Klatschmäuler es sich dachten. Lynne tauschte
mit ihrem jungen Chef keine Zärtlichkeiten aus.
Garcienne näherte sich den dunklen
Flachbauten. Die Maschinen standen still. Im äußersten rechten Gebäude brannte
hinter dem kleinen Fenster noch eine Schreibtischlampe. Je näher Garcienne kam,
desto deutlicher hörte er das Geklapper der Maschine. Schließlich sah er auch
die Silhouette des entzückenden jungen Mädchens.
Von außen konnte man bequem in das
kleine, sauber und freundlich eingerichtete Schreibzimmer hineinsehen. Lynne
saß mit dem Rücken zum Fenster. Als Philip Garcienne sie so sitzen sah, wurde
ihm erst bewusst, wie gefährlich dieses Mädchen eigentlich lebte. Zwei
Kilometer von der nächsten Behausung entfernt, saß sie
hier an ihrer Schreibmaschine. Kein Mensch weit und breit. Wenn etwas
passierte, wenn ein Landstreicher oder ein Bandit - er durfte nicht über
Einzelheiten nachdenken, ohne dass es ihn siedendheiß durchströmte. Man hörte
und las in der letzten Zeit immer häufiger von Überfällen. Hinzu kamen die
rätselhaften Grabschändungen, von denen fast jeden Tag etwas in der Zeitung
stand. Kein Wunder, wenn man sich nicht mehr sicher fühlte.
Lynne Mignon drehte sich um. Ein
Lächeln verklärte ihr ausgesprochen hübsches Gesicht, als sie sah, wer draußen
stand.
Sie erhob sich und öffnete das
Fenster. »Ich bin gleich soweit«, flüsterte sie. Ihre Zähne blitzten. Sie
hauchte einen Kuss auf seine Lippen. »Willst du noch schnell hereinkommen? Ich
beende gerade den letzten Brief .«
»Ich warte hier draußen, Lynne .«
In der Nähe dieses herrlichen
Geschöpfes fühlte er sich stets geborgen. Lynne strahlte Ruhe,
Ausgeglichenheit, und Zufriedenheit aus. Und diese Stimmung sprang nun auch auf
Philip über.
Wortlos sah er ihr zu, wie sie den
Brief zu Ende brachte, die Maschine verschloss und dann das Licht löschte, nachdem
sie den Rollladen heruntergelassen hatte.
Zwei Minuten später kam sie um die
Hausecke. Lächelnd wie immer. Ihr schwarzes, schulterlanges Haar rahmte das
schönste Gesicht, das Philip Garcienne jemals gesehen hatte.
Er warf einen Blick zurück, als
sie langsam den Weg entlanggingen.
»Ich mache mir Sorgen um dich,
Lynne«, sagte er. »Es gefällt mir nicht, dass du jeden Abend so lange hier
allein herumsitzt. Du präsentierst dich wie auf einem Tablett. Kannst du denn
nicht gleich am Anfang die Läden herunterlassen, wenn alle anderen Angestellten
gegangen sind ?«
Sie sah ihn aus großen Kirschaugen
an. »Philip«, sagte sie. »Was soll mir schon passieren? Ich bin dort völlig
sicher - und außerdem weiß ich, dass du immer pünktlich kommst. Acht Uhr - das
ist doch nicht spät .«
»Es ist um acht genauso dunkel wie
um zwölf«, meinte er.
Arm in Arm gingen sie den Weg hinunter
und näherten sich der moosbewachsenen Friedhofsmauer.
Lynne erklärte ihrem Begleiter
gerade, dass sowieso in zwei Tagen alles zu Ende sei. Gerade heute habe sie
erfahren, dass Anfang der Woche eine zweite Schreibkraft eingestellt würde.
»Dann geht endlich alles wieder seinen
Gang, und wir haben Zeit, abends zusammen zu sein. Du brauchst nicht länger
Ängste um mich auszustehen, klar? Und außerdem: ich bin bewaffnet, falls du es
noch nicht wissen solltest .«
»Bewaffnet ?« Philip riss die Augen auf. Dieses grazile Geschöpf mit einer Pistole in der
Hand? Das konnte er sich nun gar nicht vorstellen.
Sie lachte. »In der Schublade
neben der Schreibmaschine liegt ein Tränengasspray. Außerdem kann ich sofort
telefonieren, wenn ich irgend etwas Verdächtiges wahrnehmen sollte .«
Philip wollte noch etwas darauf
erwidern. Doch im Ansatz des Sprechens hielt er inne.
Schritte! Leise, nicht allzu fern.
Im ersten Augenblick dachte er, jemand käme den Weg hinter ihnen her, und er
drehte sich um. Aber da war nichts. Dann erst begriff er - dass sich die
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