0170 - Die Ratte von Harlem
jeden Bekannten, den wir ermitteln konnten, jede Freundin.
Nichts.
Und niemand konnte uns einen Tip geben.
Vor allem gibt in Harlem der Polizei niemand einen Tip.
Das war ein böses Handicap.
»Sie schützen die Ratte, die unter ihnen wühlt«, sagte ich an einem schwülheißen Freitagabend zu Phil. Der Himmel war tiefgrau und wolkenverhangen. Schon seit dem frühen Nachmittag sah es aus, als wollte es regnen. Aber der Regen blieb aus.
»Ich glaube, ich gehe nach Hause«, brummte Phil.
Ich nickte.
Da schrillte das Telefon. Ich nahm ab.
Es war Mr. High. »Gut, daß Sie noch da sind, Jerry. Ich glaube, ich habe was für Sie.«
»Ja?«
»Der Mann, der Jonny Douglas bewacht, rief gerade an. Jonny steht stockbetrunken in Selbys Bar, oben in Harlem. Er hat zwei Neger verprügelt und bedroht die anderen Gäste mit einer Pistole. Vermutlich rücken die Schwarzen jetzt mit einer halben Kompanie Verstärkung an. Ich wollte es Ihnen nur sagen. Ich werde ein paar Leute hinschicken.«
»Nein, Chef, überlassen Sie es bitte mir. Ich fahre mit Phil sofort hin.«
»Ihr beide allein?«
»Es wird nicht so gefährlich werden«, meinte ich.
***
Es war, wie der Beamte dem Chef berichtet hatte. Der riesige Jonny Douglas lehnte mit dem Rücken an der Theke und hatte eine Pistole in der Hand. Die Gäste, fast nur Schwarze, starrten den Blonden feindselig an.
Als Jonny mich erkannte, brach er in ein schallendes Gelächter aus. »Teufel auch, das FBI ist schon da! Hahahaha! Was gibt’s denn, Boys, he?« Er fuchtelte wild mit der Pistole vor meiner Nase herum.
Mit einem schnellen Faustschlag beförderte ich die Waffe aus seiner Hand.
Ehe ein Schwarzer seine langfingrige Hand danach ausstrecken konnte, hatte Phil sie schon an sich genommen.
»Komm mit, Jonny, ich habe mir dir zu sprechen«, sagte ich so gleichmütig, wie es eben möglich war.
»Nichts da«, maulte er. »Erst nimmst du einen Drink mit mir, G.-man.«
»Du hast genug getrunken. Komm mit!«
Ich führte ihn vor die Tür. Wir hatten ihn gerade im Wagen, und Phil riß die Tür hinter sich zu, als die schwarze Meute auch schon an uns vorbei in die Kneipe brauste.
Wir fuhren los.
Und nun preßten wir ihn aus. Aber wir hatten kein Glück. Irgendwo gab’s bei dem langen Jonny einen Punkt, wo es vorbei war. Er grinste uns freundlich an, aber wußte nichts. Gar nichts.
Wir luden ihn vor seiner Tür ab.
»Verdammte Bande. Da spielen wir noch Taxi für den Burschen und hauen ihn aus einer todsicheren Keilerei heraus…« brummte Phil.
Mißmutig fuhren wir nach Hause.
In dieser Nacht fand ich keinen Schlaf. Ich lag mit offenen Augen im Bett und starrte auf das Flimmern und monotone Aufblitzen der Lichtreklamen, die ihre Reflexe an die Zimmerdecke warfen. Ich warf mich von einer Seite auf die andere, dann knipste ich wieder die Nachttischlampe ein, nahm die Daily Times und blätterte darin.
Da sah ich unter einem Gerichtsbericht die Zeichen F.K. Das war mein alter Bekannter Fred Kendy, Polizei- und Gerichtsredakteur der Daily Times. Ich nahm mein Notizbuch vom Nachttisch, suchte Freds Nummer heraus und griff zum Telefon.
Erst nach einer ganzen Weile meldete sich eine verschlafene Stimme.
»Hallo, Fred!« rief ich. »Entschuldige, wenn ich dich gestört habe, ich hab’ nur eine Frage…«
»Wer ist denn da?« gab er knurrig zurück.
»Jerry Cotton.«
Er stieß einen Seufzer aus. »Es ist zum Verzweifeln. Außer den Pressefritzen seid ihr die schlimmsten Menschen. Was willst du denn um Himmels willen zu nachtschlafender Zeit?«
Ich wußte, daß er ein gutmütiger Bursche war und es nicht halb so schlimm meinte. Sonst hätte ich ihn erst gar nicht angeläutet. »Paß auf, Freddy, ich suche einen Mann, der durch eng vergitterte Fenster steigen kann, der so schmal ist wie eine Ratte.«
»Träumst du vielleicht noch?«
»Nein. Ich bin verzweifelt hinter einem Mann her, der in Harlem zwei Menschen erwürgt und drei Kassen ausgeplündert hat. Ich selbst hatte eine kurzruridige Auseinandersetzung mit ihm…«
»Weshalb hast du ihn denn nicht festgehalten?« sagte er.
»Diesmal saß ich am kürzeren Ende. Der Bursche entwischte mir… wie, na, wie eben eine Ratte. Durch einen winzigen Türspalt. Dann hatte er die Nerven, mir auf der Straße aufzulauern. Er wartete in Seelenruhe ab, bis ich aus einer Telefonzelle kam, sprang mich dann mit einem Schlagbolzen oder so was Ähnlichem an. Hast du zufällig mal von einem Mann gehört, für den das typisch
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